Generation Zap!

FernsehenWir Medienkonsumenten sitzen nicht selten vor dem Fernsehgerät und schalten hin und wieder um, weil wir nach einer besseren Sendung suchen (grazing), weil die Werbung läuft (zapping) oder weil wir mehrere Sendungen gleichzeitig verfolgen wollen (switching). Es ist ein Phänomen, das Verhaltensforscher immer wieder untersuchen und in der Öffentlichkeit ansprechen. Ein Phänomen, das die Quotenzähler der Fernsehsender zum Verzweifeln bringt – es wird immer schwieriger, die Zuschauerzahlen zu ermitteln, wenn fünfzig Prozent „nur mal kurz vorbeischauen“.

Warum schalten wir so schnell um?

Das seltsame Verhalten des Zapping liegt daran, dass die Menschen mittlerweile so stark durch die Medien beeinflusst sind, dass einfach zu viel da ist, was konsumiert werden will. Hier ein Film, da eine Serie, da die Nachrichten, da etwas Witziges. Das Publikum wird abhängig davon, sodass es sich die Sendeanstalten erlauben, das Niveau herunterzuschrauben. Allerdings hat das jeder bemerkt, sodass er nur noch verzweifelt hin- und herschaltet, um doch noch ein kleines bisschen unterhalten zu werden.

Es hat eine Zeit gegeben, in der man uns länger mit einer Sache aufhalten konnte. Zum Beispiel im alten Rom – da lauschte das wissbegierige, interessierte Volk mehrstündigen Reden Ciceros gegen Catilina. Und niemand schlief ein oder ging vor Schluss! Niemand zückte eine Fernbedienung und wechselte den Kanal.

Es spielt aber auch ein bisschen der „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“-Effekt eine Rolle dabei. Wer Gladiatorenkämpfe und Reden kennt, besucht eben dieses. Wer Millionen Internetseiten, Zwanzig Radiosender, Hundert TV-Sender, sechs verschieden Zeitungen und Zeitschriften, dreißig Konsolenspiele und ein Handy kennt, nutzt eben all dieses. Und überall, wo es langweilig wird, hört man auf und wechselt zur nächsten Möglichkeit.

Wir wollen Sensationen

Werden wir innerhalb von drei Sekunden nicht mit einer spektakulären Nachricht oder einem erstaunlichen Vorfall am Programm festgehalten, sind wir gleich desinteressiert weil nicht unterhalten. Also: Zap!

Früher las man noch dicke Wälzer – man freute sich darauf, dass man so viel Lesevergnügen vor sich hatte, wenn man die erste Seite aufschlug. Heute sind wir davon schnell abgeneigt – man stöhnt auf, wenn man sieht, wie viel noch vor einem liegt. Man hört auch schnell auf, zu lesen, wenn nach dreißig Seiten noch nichts Aufregendes geschehen ist. Die Einstellung hat sich radikal verändert: Einst wollte man nicht aufhören zu lesen, weil man immer etwas erwartete, jetzt will man nicht anfangen zu lesen, wenn einem nicht das Richtige präsentiert wird.

Alle wollen ein auf persönliche Ansprüche abgestimmtes Buch – meistens soll es entweder eine alltägliche, dem Durchschnittsbürger allzu bekannte und vor allem unpolitische oder eine fantastische, moralische, fesselnde Handlung haben. So haben sich der literarische Mainstream und das Bestseller-Konzept entwickelt. Was nicht vom Spiegel empfohlen wurde, kann nicht gut sein. Und es muss mindestens in den „Top Ten“ stehen. Frank Schätzing? Muss man gelesen haben. Dan Brown? Pflichtlektüre, schließlich nicht selten auf Platz Eins.

Die Qualität wird unwichtig, solange man länger unterhalten ist. Es wird auch nie langweilig: Die Bestsellerlisten übernehmen das Zapping.

Kann sich das ändern?

Sicher wird man mit der Zeit eine Veränderung dieses Medienkonsumverhaltens bemerken können, aber ganz sicher nicht zum Guten hin. Vielmehr ist zu erwarten, dass sich die Lage verschlimmert. Wie schlimm es aber schon jetzt ist, merken sehr viele Menschen gar nicht. Man schreibt, sendet, berichtet und produziert nur noch, was die Masse will. Schöne, neue Welt – danke, Kapitalismus.

Bild: SXC

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6 Kommentare

  1. November 15

    Schöner Artikel. Gut auf den Punkt gebracht. Der Spaß- und Sensationsfaktor ist heutzutage leider wichtiger als der wirkliche Nutzen einer Sache/Nachricht.
    Leider stelle ich das sogar bei mir selber fest. Nachrichten lese ich im Internet. Ist der Scrollbalken des Browserfensters kürzer als 300px überlege ich mir erschreckend häufig einen Artikel doch nicht zu lesen, oder höre schnell wieder auf.
    Ich denke die einzige Möglichkeit gegen das „Zappen“ ist es, Nachrichtenquellen von vornherein zu selektieren. Die Nachrichtenflut ist zu groß, als dass man sie im Gesamten wahrnehmen könnte. Lieber weniges intensiv, als vieles nur oberflächlich betrachten!

  2. November 15

    Danke. Ähnliches wie du muss auch ich immer öfter feststellen. Deshalb abonniere ich die Nachrichten im Internet nur von den mich ansprechenden Quellen wie zum Beispiel vom Neuen Deutschland, dem Humanistischen Pressedienst oder bevorzugten Blogs. Will ich einen Film sehen, lege ich eine DVD ein. Das Fernsehen bleibt mittlerweile nahezu gänzlich aus für mich – so komme ich ganz um die Werbung herum, zudem lese ich die nicht werbefinanzierte Zeitschrift Titanic. Wenn ich dann doch mal die Flimmerkiste einschalte, dann nur, weil mich eine spannende Dokumentation oder ein neuer Fernsehfilm auf Arte, 3Sat oder auch im Ersten oder Zweiten interessiert.

  3. ichichich
    November 15

    Neues Deutschland? Oh nein! HPD geht ja noch, aber Neues Deutschland? Verstand Adé!

  4. November 16

    Wird deine Kritik noch inhaltlich?

  5. Yuvi
    November 18

    Der Artikel ist echt gut getroffen.
    Ich kann es nicht haben, wenn jemand beim Fernsehen ständig hin und her zappt, weil er sich nicht entscheiden kann. Ich suche mir zuerst die Sendung aus, die ich sehen will und schalte dann erst den Fernseher ein. Und in der Werbung schalte ich auch nicht um, sondern beschäftige mich so lange mit etwas anderem. Ganz einfach.

    Und so tolle hochwertige Sendungen wie ‚DSDS‘, das ‚Supertalent‘ oder ‚Bauer sucht Frau‘ meide ich sowieso konsequent. Lieber bleibe ich bei amerikanischen Serien oder Filmen. Denn im deutschen Programm kann ich in letzter Zeit nicht viel entdecken, für das es sich lohnt den Fernseher überhaupt einzuschalten.

    Bei den Büchern hast du aber ein Phänomen vergessen. Das Phänomen, zuerst das Ende zu lesen und dann erst am Anfang zu beginnen. Solche Leute kann ich überhaupt nicht verstehen, man verdirbt sich die ganze Spannung. Wenn ich anfange, ein Buch zu lesen, dann lese ich es auch zu Ende. Auch wenn es ewig dauert, so hab ich mich monatelang durch das ‚Silmarillion‘ von Tolkien gekämpft und es am Ende nicht bereut.

  6. November 19

    Dankeschön. Du hast Recht – das Ende zuerst zu lesen, ist ein weiteres störendes Verhaltensmuster, das ebenso charakteristisch für die „Generation Zap!“ ist. Es hängt zusammen mit dem von mir im Artikel genannten: Hinten nachschauen, ob man eine Sensation bekommt – wenn nicht, gar nicht erst anfangen. Gestern haben wir eine Umfrage in der Schule gehabt, im Deutschunterricht; mehr als 95 % sagten, sie würden ein Buch nicht durchlesen, wenn es nach den ersten fünf Seiten nicht spannend wird.

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