Parasoziale Trauer

Trauern um Unbekannte – weil die Medien es auch tun

Er wird wohl kaum an einem vorbeigegangen sein: Der tragische Tod des Torwarts Robert Enke. Zuvor keine herausragende Persönlichkeit, plötzlich trauert halb Deutschland um ihn. Der Schmerz dieses Verlusts wird in den Schlagzeilen wochenlang ausgedehnt und weitergetragen – an uns Bürger, die ihn gar nicht persönlich kannten.

In der Medienpsychologie wird dieses Phänomen „parasozial“ genannt – die reelle Beziehung zu einer distanzierten, nur durch Medien dar- und eben vorgestellten Person, die möglicherweise nicht einmal existiert. Die Rede ist vom einseitigen Kontakt zur Prominenz, vom Vergöttern eines Stars.

Der Anlass zu dieser Ehrung einer Person, zu der man nur aufgrund der medialen Hochschaukelei in Relation steht, ist nicht selten der Tod jener Person. Es kommen Erinnerungen an den Tod der Lady Diana hoch; es hat eine massenhafte Versammlung zur Trauerfeier stattgefunden, bei der tausende Kerzen angezündet wurden. Millionen weinten, obwohl sie „Lady Di“ nur aus Fernsehen und Käseblatt kannten.

Andere Beispiele sind der Tod des Papstes oder der von Michael Jackson; zuletzt eben der Robert Enkes. Eins hatten alle dieser Fälle gemeinsam: Durch die Medien hat jeder ein bisschen mitgetrauert und eine parasoziale Träne vergossen. Wes Gemüt rührt es nicht an, wenn vom schicksalhaften Tod einer großen Persönlichkeit gesprochen wird? Das Fernsehen, das Radio, die Zeitung: Von überall her knallt es einem entgegen, das rührselige Beileidsgeleier, die Aufforderung zum Mitleid. Natürlich spielt hierbei auch die Bild-Zeitung wieder eine große Rolle; das Blatt, das die Kunst der unethischen Bewegung der Masse durch brüllende Schlagzeilen wie kein anderes beherrscht.

Ethik und Journalismus – schon immer eine schwierige Sache. Natürlich sollte man in den Medien ein Wort zum Tod einer wichtigen Person, die viel Verantwortung hatte, verlieren. Auch eins zum Tod eines bedeutenden Sängers oder einer Ikone. Schließlich sollen die Nachrichten informieren – und zwar über aktuelles Geschehen. Da gehört das Sterben einer bekannten Person auch dazu. Aber man muss bei der Berichterstattung in diesem Gebiet vorsichtiger sein und ruhiger mit Informationen der Art umgehen. Es ist unseriös, gleich das gesamte Privatleben des Verstorbenen auszurollen und zu präsentieren, um stärkstes Mitgefühl unter den Konsumenten dieser Informationen auszulösen.

Um Seriosität geht es, aber auch um Manipulation. Der Informierte wird nämlich so sensibilisiert, dass er plötzlich um den Tod der Prominenz weinen muss – dazu muss er nicht einmal mehr ein leidenschaftlicher Fan desjenigen gewesen sein. Und der Verstorbene kann auf einmal auch einfach ein unbedeutender Torwart aus Hannover sein.

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5 Kommentare

  1. slartidan
    Januar 5

    Bin 100% deiner Meinung. Wenn Angela Merkel stirbt darf gerne einige Wochen und Monate berichtet werden. Aber wenn Max Mustermann alias Robert Enke stirbt sollte man das nicht künstlich breittreten. Außer den Medienkonzernen hat da niemand was davon.

  2. Yuvi
    Januar 5

    Ich muss sagen, mich nervt dieses Getue um Enke oder Jackson.
    Ich hab weder bei Michael Jackson noch bei Robert Enke in irgendeiner Form mitgetrauert, für mich wirkt es heuchlerisch wie einige da in Tränen ausbrechen.

    Aber naja, jedem das seine.

  3. Januar 5

    Kann dir gänzlich zustimmen. Ich kannte Enke vor seinem Selbstmord nicht mal anhand seines Namens und plötzlich rennt jeder zur Schweigeminute ins Stadion.

    Dazu kommt, dass Suizidgefährdete mit Sicherheit auf den Holzpfad kommen können, dass, nachdem sie sich vor einen Zug geworfen haben, auch mal eine Zeitung über sie schreibt. Der Medienrummel ist in meinen Augen hochgefährlich und entwürdigend den Toten gegenüber. Schließlich schreibt die BILD nicht 6 Wochen lang über Enkes Selbstmord, um die Trauer der Redaktion zu bekunden, sondern um Auflage zu machen.

  4. Januar 6

    Die Titanic versah das letzte Titelbild des vergangenen Jahres nur mit einem jungen Adolf Hitler, im Hintergrund die euphorisierte Masse, und schrieb dazu: „Geliebt und doch einsam: Depression – Wenn Promis am Leistungsdruck zerbrechen“ – das Editorial war überschrieben mit „In die Enke getrieben“. Mal wieder auf den Punkt gebracht.

    Lesens- und sehenswert dazu ist die Recherche vom NDR-Medienmagazin ZAPP – „Massen-Trauer in den Medien„.

  5. Januar 18

    Ich finde es gut, dass du das einmal ansprichst. Ich sehe das nämlich genauso, aber die meisten Leute können meine Gedanken da nicht so wirklich nachvollziehen. Ich gestehe auch, dass ich mich oft weigere, mir Nachrichten anzusehen, weil der Info-Wert teilweise gleich null ist und es nur auf die manipulativ-emotionale Ebene geht.

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