Sapere aude!

Die Ratio als oberstes Prinzip
Aufklärung in der deutschen Literatur

AufklärungAls die Epoche der Aufklärung bezeichnet man die Zeit des 17. und 18. Jahrhunderts, in der sich in Europa – vornehmlich England, Frankreich, den Niederlanden, der Schweiz und Deutschland – ein starker rationaler Geis­teswandel vollzog. Dabei waren in erster Linie Philoso­phie und Literatur die Organe dieses Umdenkens, wel­che schließlich die ganze Gesellschaft mit sich zogen. Man kann die Aufklärungszeit als den Übergang von der frühen Neuzeit zur Moderne betrach­ten, was der deutsche Historiker Reinhart Koselleck tref­fend unter dem Begriff „Sattelzeit“ zusammenfasste.

Im 18. Jahrhundert brach mit der Aufklärung also die Moderne an – aber was war davor? Europa war geprägt von Feudalismus und absoluten Monarchien (Absolutismus), es herrschte der Adel ungehindert über die vielen Länder. Deutschland war noch ein Flickentep­pich und bestand aus ungefähr 300 Territorialstaaten, die zu 80 Prozent aus Agrarlandschaft bestanden. Der sogenannte Dritte Stand, also das Bürgertum, wand sich ungefähr ab der Mitte des Jahrhunderts gegen das bestehende Sys­tem, wurde plötzlich politisch aktiv – in Frankreich kam es sogar zur legendären Revolution. Woran lag dieser Wandel in den Köpfen der sonst so unbeteiligten Bürger? Es sind die Dichter und Denker gewesen, die das Feuer entfachten und den Horizont der Menschen aufklärten.

Die aufklärerische Bewegung strebte nach einer Emanzipation des Individuums, einer Verselbstständigung des Denkens. Man erklärte die Vernunft zum eigentli­chen Wesen des Menschen, was einen radikalen Wandel von geistiger Abhän­gigkeit von Obrigkeiten hin zur Befreiung des Geistes bedeutete. Auch war der Empirismus, der Erfahrungen und Sinneswahrnehmungen als Grundlage jegli­cher Erkenntnis nimmt, ein wesentlicher Bestandteil der Aufklärung, der der Theorie von der Vernunft (Rationalismus) entgegenstand. Die beiden Strömun­gen führten immer wieder zu Konflikten unter den literarischen Vertretern der Aufklärung, bedeuteten gemeinsam aber doch einen großen Fortschritt für die deutsche und gesamteuropäische Literatur.

Immanuel Kant beantwortete die Frage, was Aufklärung ist, folgendermaßen: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Un­mündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Ent­schließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu be­dienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“ Mit der „Leitung eines andern“ meint Kant hier die Abhängigkeit des Denkens der Bürger sowohl von der herrschen­den Klasse (Adel) als auch von der dogmatisch-metaphysischen Lehre der Kir­che (Klerus).

Die Aufklärung betraf nicht nur das Denken – mit der Emanzipation dessen ent­wickelte sich auch der Umschwung in der Gesellschaft, der (wie so oft) über viele Umwege schließlich zu Demokratieideen führte; somit gilt diese Epoche als eine der wichtigsten und bedeutendsten. Auch brachte sie umfangreiche Veränderungen in der Literatur mit sich: Es entstanden neue Stilrichtungen und literarische Strömungen; besonders im Vordergrund stand allerdings die Wie­derverwendung oder Zweckentfremdung bereits üblicher Textformen. Zentraler Bestandteil waren die Fabel, die durch ihre Kürze und metaphorische Vielseitig­keit bestach, und das Drama. Letzteres war deshalb so beliebt, weil das Thea­ter die Menschen direkt ansprach und angriff, also eine unmittelbare Reaktion in den Köpfen des Publikums provozierte.

Der Literaturtheoretiker Johann Christoph Gottsched (1700 – 1766) veröffent­lichte in seinen vielen umfangreichen Schriften zur Literatur unter anderem eine Theorie des Regeldramas (Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen, 1730), das radikal rationalistisch und schon fast wieder dogmatisch genau vorschrieb, wie ein deutsches aufklärerisches Drama auszusehen habe. Dabei verlangte er die Einheit von Ort, Zeit und Handlung: Ein Theaterstück habe an einem einzigen Ort zu spielen und dürfe nicht mehr als einen realen Tag wiedergeben, um das Geschehen nicht zu unrealistisch wiederzugeben. Au­ßerdem dürfe die Handlung nur behandeln, was „möglich“ sei. Diese Idee war zwar wegweisend für das klassische deutsche Drama, wurde aber von vielen namhaften Vertretern der Aufklärung scharf kritisiert; im besonderen von Gott­hold Ephraim Lessing, der sich sogar wünschte, „dass sich Herr Gottsched nie­mals mit dem Theater vermengt hätte“ (17. Literaturbrief, 1759). Rückblickend hat Gottsched aber, obwohl offensiv für die Ständegesellschaft einstehend und äußerst kontrovers diskutierte Theorien verfechtend, dennoch einen nicht uner­heblichen Beitrag zur Aufklärungsepoche geleistet, indem er Anlass zur Diskus­sion gegeben und somit einige Steine ins Rollen gebracht hat.

Im folgenden sei, nachdem mit Kant und Gottsched der theoretisch-philosophi­sche Ansatz der Aufklärung erläutert worden ist, näher auf die bedeutenden Schriftsteller dieser bewegten und bewegenden Epoche eingegangen. Unter anderem sind dabei Wieland, Gellert und Lessing einer besonderen Erwähnung würdig.

Christoph Martin Wieland (1733 – 1813) spielte eine sehr wichtige Rolle zur Zeit der Aufklärung. Er war Dichter, Übersetzer und Herausgeber zugleich und nahm sich ein Vorbild am französischen Aktivismus, der sich in neuartigen Pu­blikationen wie beispielsweise literaturkritischen Zeitschriften äußerte. Wieland publizierte von 1773 bis 1789 nach dem Vorbild des Mercure de France den Teutschen Merkur, der der deutschen Aufklärungsbewegung als zentrales Re­zensionsorgan galt und die Literaturkritik wesentlich förderte, welche zu einem weiteren Merkmal der Aufklärung wurde. Der Herausgeber beabsichtigte die Bildung einer neuen Lesekultur und eines nationalen, eigenen Literaturge­schmacks. Auch diese Idee war vom aufklärerischen Zeitgeist geprägt, der eine Vereinzelung des Menschen vorsah, also auch die Bildung seines eigenen Cha­rakters, der unabhängig vom Patriarchen denkt, was er selbst denkt und somit auch liest, war er selbst lesen will. Auch Wielands Übersetzungen von den Wer­ken Ciceros, Horaz‘ und Shakespeares haben ihm viel Ansehen und Aufmerk­samkeit eingebracht, sodass er zu einer hervorstechenden Persönlichkeit seiner Epoche wurde – Napoleon hob ihn gar zum „deutschen Voltaire“ empor -, die aber im darauffolgenden Jahrhundert vom Sturm verdrängt wurde.

Christian Fürchtegott Gellert (1715 – 1769) ist konservativ und christlich erzo­gen worden und konnte sich nie ganz davon lösen. Auch in seinem Gesamtwerk kommen immer wieder kleinbürgerliche Züge zum Vorschein; trotzdem gab er sich ganz der Aufklärung hin. Sein Verständnis davon war die Vermittlung von Unterhaltung und Vernunft gleichermaßen. Er schrieb Lustspiele genauso wie Moralreden und setzte die Erzählform der Fabel in neuartiger Weise zu aufkläre­rischen Zwecken ein, um Grundsätze der Vernunft zu lehren – ihm war es wich­tig, das Publikum gleichzeitig zu unterhalten und zu bilden. Mit seinen Fabeln wurde er zum bedeutendsten Dichter der deutschen Frühaufklärung.

Gotthold Ephraim Lessing (1729 – 1781), Verfasser von Dramen der komischen wie der tragischen Art, Fabeln und Gedichten, gilt als der bedeutendste Schrift­steller der Literatur der deutschen Aufklärung. Er zählte nicht zur besserverdie­nenden Gesellschaft und hatte somit schwerer als andere Aufklärer mit dem Beruf des freien Schriftstellers zu leben. Mit seinen Fabeln vermittelte er einfa­che Moralsätze, mit seinen Lustspielen (Der junge Gelehrte, 1754) stellte er lä­cherliche Charaktere in Anlehnung an Zeitgenossen bloß und mit der neuen Form des bürgerlichen Trauerspiels (Miss Sara Sampson, 1755) vereinte er die nach der allgemein gültigen, zuletzt von Gottsched verfochtenen Ständeklausel zu trennenden Formen der Komödie („für die einfachen Bürger bestimmt“) mit der Tragödie („dem Adelsstand vorenthalten“). Lessing transportierte und prägte ein eigenständiges Moralbe­wusstsein und Sinn für Toleranz (eindrucksvoll in Worte gefasst durch die be­kannte Ringparabel in Nathan der Weise). Zudem war er einer der ersten, die utopische Texte verfassten, also an bessere, gerechtere Gesellschaftsformen dachten – dadurch entstanden auf einmal neue gesellschaftliche Werte wie Hu­manität und der Sinn für soziale Gerechtigkeit.

Die Aufklärung war in Deutschland eine Vorbereitung auf die Klassik, die viele damals entwickelte literarische Formen und Theorien übernahm. Sie brachte eine neue, kritische und individuelle Gesinnung nach Europa und weckte einen gewissen Kampfgeist gegen den Absolutismus in den Federn der herausragen­den Schriftsteller jener Zeit. Die philosophische Basis bildeten die Werke von Voltaire und Kant; zur praktischen Aufklärung trugen in Deutschland besonders Wieland, Gellert und Lessing bei. Die Aufklärer sind Querdenker gewesen, die sich nicht mit dem Gehorsam und der Unmündigkeit zufrieden gaben. Sie be­trachteten den Lauf der Dinge mit Skepsis und Ratio, was einen grundlegenden Wandel sowohl für die Literatur als auch für die Gesellschaft bedeutete.

Bild: Kupferstich v. Daniel Chodowiecki (1726-1801)

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