In Stuttgart und Dannenberg hat sich gezeigt, dass der politische Protest hierzulande eine neue Stärke erreicht hat – das bringt aber auch jene altbekannte Leichtgläubigkeit gegenüber den Parteien unter die Menge.
Was ist nur los mit den Bürgern? Was ist in sie gefahren, dass sie auf einmal wieder massenhaft auf die Straße gehen und sich nicht mehr mit der Regierungspolitik abfinden? Sind es nicht die, die einst naiv CDU, FDP oder SPD wählten und nun merken, dass das ein Fehler war?
Manch einer spekuliert schon über eine neue APO, wobei das wohl zu hoch gegriffen sein dürfte. Fest steht aber, dass die schwarz-gelbe Regierung zu überzeugt auf den Putz gehauen und zu offensichtlich die Sau raus gelassen hat. Das lassen sich die Leute nicht mehr gefallen – kein Wunder, wird derzeit doch eine einzigartige Klientel- und Lobbypolitik betrieben. Den Banken wird aus der Krise geholfen, während den Ärmsten mit dem sogenannten „Sparpaket“ das Geld aus den Taschen gezogen wird. Unser Innenminister hat Sammelabschiebungen von knapp 14.000 Flüchtlingen nach zehn Jahren Aufenthalt zurück in den Kosovo auf eine Müllkippe veranlasst. Merkel hat sich von Wirtschaftsvertretern energiepolitisch beeinflussen lassen und deshalb kurzerhand die Laufzeit der Atomkraftwerke weiter erhöht. Wer hat nicht spätestens dann die Schnauze voll?
Anfang November hat die bisher längste Blockade des Castor-Transportes stattgefunden – 50.000 Menschen beteiligten sich an der Auftaktkundgebung, darunter viele Neulinge, die sich sonst nicht auf die Straße gewagt hatten. Sie alle wirkten wie aufgerüttelt. Was hat sie so erleuchtet, diese neue Gesellschaftsgruppe, die sich nun am aktiven Protest beteiligt? Und: steht das ganze in Zusammenhang mit anderen „Bürgerprotesten“ dieser Tage, etwa dem Aufschrei der Blankeneser Bourgeoisie gegen die Schulreform oder dem neuen Salonrassismus á la Sarrazin?
Jene, die gegen Stuttgart 21 oder den Atommülltransport nach Gorleben demonstrierten und demonstrieren, wurden um eine neue Gruppe ergänzt: Die „ganz normalen Bürger“, die sonst lieber brav zu Hause saßen und bloß nicht auffallen wollten. Die sich immer duckten und bei der Wahl – wie es sich gehört – ihr Kreuz in der Mitte oder rechts machten. Jene, die sich immer allen Klischées und Vorurteilen anschlossen, die der Regierung und den Medien alles aus der Hand fraßen, die nichts hinterfragten – es sei denn, man zwang sie dazu. Insgesamt also: die Mittelschicht.
Nun hat diese Mittelschicht starken Einfluss auf die mediale Aufbereitung dieser Unruhen, zumal sie die Medienmacher selbst einschließt. Daher fühlen sie sich beteiligt und berichten also auch realitätsnaher. Es sind dieselben, die zuletzt noch über „linksextremistische Krawalle“ auf der Mai-Demo oder die „Deutschenfeindlichkeit“ berichteten. Sie passen sich dem neuen Strom an, also machen sie – größtenteils – mit. Die Mode, bio zu essen und gegen Atomkraft zu sein, ist längst nichts alternatives mehr. Der Vorteil an der derzeitigen Art der Berichterstattung ist allerdings, das kann man nicht verschweigen, das positive Bild, das die Öffentlichkeit von den Protesten erhält.
Was aber soll bei all dem massenhaften Widerstand herauskommen? In Stuttgart werden Bau- und Immobilienwirtschaft in Zusammenarbeit mit der Regierung sicher nicht einknicken – und wenn die nächsten Wahlen den Grünen, die sich ja mächtig an den Demonstrationen beteiligen, zur Entscheidungsmacht verhelfen sollten, werden wieder alle enttäuscht werden. Zwar vertraut die neue Protestgruppe den Grünen als umweltbewusste, demokratische Partei – doch übersehen sie die bigotte Heuchelei, die dahinter steckt: Die Grünen werden mitspielen, um mit besseren Wahlergebnissen ihren Profit herausschlagen zu können – Stuttgart 21 wird mit Sicherheit fertiggestellt, ob mit oder ohne Grüne. Einst haben die Grünen in Hamburg mit der Anti-AKW-Klientel ihre Stimmen erhalten, ließen sich aber auf die CDU ein und hielten letztlich keines ihrer Versprechen. Und nicht zuletzt vergessen die grünen Atomkraftgegner alle, dass Trittin in seiner Zeit im Umweltministerium höchstselbst für Castor-Transporte verantwortlich war.
Das Kleinbürgertum mischt wieder kräftig mit – dabei bringt es jedoch auch schwerwiegende Lasten mit: Seine Staatstreue und naive Haltung gegenüber den Parteien. Dabei handelt es sich um dasselbe zweischneidige Schwert, welches auch bei den Globalisierungskritikern von ATTAC vorliegt: Zum einen ist der Pluralismus ein großer Vorteil, da sich eine große Schnittmenge am Protest beteiligt. Zum andern geht das ganze aber auf Kosten tiefgründigerer Kritik, weshalb die Bewegung in der Summe wieder dort landet, wo sie angefangen hat; meistens sogar ohne es zu merken.
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