Revolution dank Facebook?

Ob Griechenland, Tunesien oder Ägypten – immer wieder ist die Rede von der „Generation Facebook“, die auf die Straße geht, dem „Web 2.0“ als Protestmedium. Kommunikation, Organisation und Interaktion finde im digitalen Netzwerk statt, die sich vermehrenden reibungslosen Abläufe bei der politischen Praxis in diesen Ländern sei im wesentlichen den Sozialen Netzwerken zu verdanken. Sicher sind die hochgelobten neuen Medien eine Chance, die es sich mit revolutionärem Anspruch zu ergreifen lohnt, doch welche Rolle spielen sie in der politischen Entwicklung einer Gesellschaft? Inwieweit können wir sie nutzen? Und: Können wir sie überhaupt nutzen? Eine Untersuchung.

Welche Rolle hat Facebook bei den Arabischen Aufständen gespielt?

Die sogenannte Jasminrevolution in Tunesien war der Auftakt für eine Welle des Umsturzes, die unter anderem Algerien, Jordanien, den Jemen und schließlich Ägypten erreichte. Alles begann, als sich ein tunesischer Gemüsehändler zum Zeichen des Protests gegen Regime und Lebensmittelpreiskrise zum Märtyrer machte, indem er sich öffentlich selbst verbrannte. Es war der Schlag, der die Masse wachrüttelte, ja, scheinbar schlagartig in Bewegung versetzte – und dazu führte, dass die Proteste vom einen auf den anderen Tag auch in den hiesigen Medien auftauchten.

Doch wie konnte das ganze Land, und später sogar weite Teile der Arabischen Welt, solidarisch zusammenstehen und mit einem gemeinsamen Ziel einen Umsturz herbeiführen? Wie konnten solche Massen auf dem Tahrir-Platz in Kairo zusammenkommen, wie können all die Aufständischen über eine weitflächige, durchlöcherte Infrastruktur hinweg einheitlich – teils chaotisch, aber solidarisch – kämpfen? Auf alle diese Fragen gibt die deutsche, die britische, die französische, die amerikanische (um nicht zu sagen: die westliche) Medienlandschaft eine Antwort: Es sind die Medien. Das steht zunächst im Widerspruch zu der Aussage, die arabische Bevölkerung wolle unkontrollierte, freie Medien, habe ebensolche demzufolge nicht. Allerdings stellen unabhängige panarabische Medien wie Al Jazeera trotz nationaler Einschränkungen und Repressionen – in Ägypten etwa wurde im Zuge der Demonstrationsberichte ein Al Jazeera-Büro von Regierungsanhängern gestürmt – international überparteiliche Informationen zur Verfügung.

Doch es heißt auch, es sollen nicht nur die herkömmlichen Medien sein, die für den Zusammenhalt in einer Welt zwischen Konserve und Moderne sorgen – ganz im Gegenteil. Die Einsen und Nullen, die mittlerweile nicht nur unseren Alltag dominieren, wären im Fokus! Also Blogs zur Information, Facebook zur Organisation und Twitter zur unmittelbaren Kommunikation. Social Media also als Medium des Protests? In Deutschland kaum vorstellbar. Vielleicht schwappt diese Idee mit den kommenden Flüchtlingsströmen ja bald herüber.

Ein gutes Beispiel für die Rolle von Facebook für die Arabischen Aufstände ist die Facebookgruppe „Jugendbewegung des 6. April“ aus Ägypten. Der inzwischen 30-jährige Ingenieur Ahmed Maher gründete sie zunächst zur Unterstützung eines Arbeiterstreiks 2008. Anfang 2011 wurde die explizit nicht-ideologische Gruppe zum wesentlichen Mitinitiator der Proteste gegen die ägyptische Regierung. Dies geschah im wesentlichen per Facebook, aber auch Twitter, Blogs und eine eigene Website. So waren junge Ägypter mit Internetzugang schnell und stets aktuell über Aktionen, Inhalte und Strategien bezüglich des Umsturzes informiert. Sie konnten ihre Ideen unmittelbar einbringen, Unterstützung finden, Hilfe erhalten. Und am Ende ist die „Jugendbewegung des 6. April“ noch lange nicht – zuletzt erklärte sie auf ihrer Website etwa, warum die Revolution fortgesetzt werden müsse.

Ist Facebook revolutionär?

Nachdem ein Ägypter sein neugeborenes Kind „Facebook“ nannte (Huffington Post) und überall, nicht nur in den hiesigen Medien, das prosperierende Soziale Netzwerk heilig gesprochen und zum revolutionären Medium erklärt wurde, wird ein detaillierterer Blick auf diesen Zusammenhang immer notwendiger. Wie kann es sein, dass selbst in den Kinos Werbung für das Unternehmen Facebook gemacht wird? Wie kann es sein, dass ein derart unreflektiertes Bild in die Welt gesetzt und das globale Kommunikationsnetzwerk – beziehungsweise PR-Paradies – inzwischen bereits als Synonym für den neoliberalen Freiheitsbegriff verstanden wird?

Es ist eine Strategie, die auf Unternehmer- und Investorenseite wunderbar aufgeht: Ein junger, zum Idol tauglicher Teenager ist mit einer – so sagt man zumindest – genialen Idee groß rausgekommen. Man kann es kaum glauben – er stellt sein Produkt kostenlos jedem zur Verfügung, der einen Internetanschluss besitzt. Trotzdem ist er zum Millionär geworden. Niemand kommt auf die Idee, wie das funktionieren soll. Auf der Hand liegt jedoch, dass Facebook ein durchaus anlagefreundliches Umfeld darstellt. Und ausgerechnet das soll (so wird etwa der tunesische Schriftsteller Meddeb in der Taz zitiert) eine Triebfeder der Revolution, eine Plattform des Widerstandes sein?

Facebook ist mit Sicherheit eine Chance – zumindest sein Konzept und der gesellschaftliche Anklang, den es findet. Diesen Bereich politisch einzusetzen, vermag nicht nur technischer, sondern natürlich auch strategischer Gewandtheit. Dennoch sollte man ein trotz – oder gerade wegen – all seiner Liberalität kapitalistisches Umfeld niemals unterschätzen oder ihm gar blauäugig, naiv begegnen. Es bleibt jedoch die Tatsache, das können wir nicht leugnen, dass in Sozialen Netzwerken wie Facebook die Zukunft liegt (was hier nicht in der visionären, sondern vielmehr in der trocken realistischen Weise verstanden sein will). Und gerade deshalb gilt es eben auch revolutionären Bestrebungen, daran anzuknüpfen.

Insofern lässt sich die arabische Praxis als vorbildlich verstehen. Auf der anderen Seite sollte das nicht über das Gefahrenpotential der Digitalisierung politischer Aktion hinwegtauschen: Das Internet ist und bleibt, allen netzpolitischen Idealen zum Trotz, kontrollierbar – wie wir beobachten konnten (zum Beispiel ließ man in Ägypten einfach mal das Internet abschalten; diverse Provider hatten kein Problem damit). Zudem ist Facebook auf Unternehmerseite ein öffentlicher, marktwirtschaftlich verwertbarer Raum. Das ist entscheidend, soll aber nicht all die tatsächlich freien Alternativen, die es immerhin gibt, übersehen.

Ein Beispiel ist die Open Source-Anwendung Sukey, die ebenfalls in Ägypten eine Rolle gespielt hat (Telepolis, via Annalist). Sie ermöglicht es, sich bei polizeilich begleiteten Großversammlungen einen Überblick über offene und möglicherweise von Polizeikräften versperrte Zugangswege zu verschaffen. Werkzeuge wie dieses tragen so zu einer erheblichen Steigerung aktionistischer Effizienz bei und nutzen die gegebene Möglichkeit des interaktiven sozialen Netzwerkes optimal aus. So sollte es auch in Zukunft geschehen, denn an dieser zeitgemäßen Form der politischen Verständigung führt kein Weg vorbei. Politik muss am aktuellen Geschehen, am – statt im – Zeitgeist bleiben. Das gilt genauso für das ohnehin schon kleine politische Handlungsfeld.

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