Spätestens seit den Mai-Demonstrationen in diesem Jahr ist klar, dass die deutsche Polizei mit einer neuen Taktik gegen den sogenannten „Linksextremismus“ vorgeht: Prävention durch massive Repression. Schon am 30. April, als man in Hamburg für den Erhalt des autonomen Kulturzentrums „Rote Flora“ auf die Straße ging, standen „Spiegel Online“ zufolge circa 4000 Demonstranten – davon zur Legitimation ein Viertel als „gewaltbereite Autonome“ eingestuft – über 2000 Polizeibeamten gegenüber.
Der Protestzug, der durch das alternativ geprägte Schanzenviertel führte, hinterließ tatsächlich einige Spuren von Unzufriedenheit, Konflikt und Aufruhr. Am Rande der Menschenmenge wurde ein Fahrzeug angezündet, während schräg gegenüber ein leer stehender Neubau der gehobenen Klientel mit Farbe beschmiert wurde. Als einige mit dem Zaun um die Ikea-Baustelle in Hamburg-Altona nicht einverstanden waren und diesen gewissermaßen öffneten, musste die Demonstration aufgelöst werden. Von nun an ging es in Kleingruppen weiter.
Ruhe ohne Sturm?
Nachdem an jeder Straßenecke Einheiten der Polizei postiert waren, ging es weder vor noch zurück. Die Stimmung entsprach der berüchtigten Ruhe vor dem Sturm. Da der Bereich um die „Rote Flora“ zum Gefahrengebiet erklärt worden war, musste man sich im Laufe der Nacht etlichen einschüchternden Ausweiskontrollen unterziehen, die sich zum Teil stark in die Länge zogen. Unmittelbar vor der „Roten Flora“ waren mehrere Wasserwerfer postiert; rings umher standen sich die edleren Krawalltouristen bei einem Glas Champagner die Füße platt, bewaffnet mit einer Digitalkamera. Doch es geschah rein gar nichts – man konnte immer mehr Ungeduld in den Augen sowohl der Polizisten als auch der alkoholisierten Aggressiven verspüren. Und so kam es schließlich doch zum heiß ersehnten Chaos – manch ein alkoholisierter Idiot warf eine Kindergranate, einen Stein oder eine Flasche vor den Flüssigpanzer, sodass der für letzteres metallisches Ungetüm zuständige Beamte die Nase voll hatte und nach einer Weile den Tank leer.
Erwähnter alkoholisierter Idiot heißt in der hiesigen Presse des nächsten Morgens übrigens „linker Chaot“, wobei er wohl link sein mag, niemals aber links. „Flinker Chaot“ träfe es vielleicht noch, zumal jene Idioten solche sind, die sich in die politische Menge stellen, ihren Müll per Luftweg auf nächstgelegenem Straßenpflaster deponieren, dann aber fix die Beine in die Hand nehmen und spurlos verschwinden. So kann die voreingenommene Journaille eins und eins zusammenzählen und die altbekannte Position bestätigen.
Der schwarze Block der BRD
Die rasenden Reporter merken aber nicht, wie unverhältnismäßig es mittlerweile auf der Straße zugeht, denn jede politische Veräußerung geht unter, wenn zur selben Zeit am selben Ort ein Spectaculum ausbricht. Die Zahlungskraft des Konsumenten erhöht sich mit verstärktem Staunen – der Konsument staunt mehr über ein Bengalo-Feuerwerk oder vermummte Macker auf Hausdächern als über vor die Haustür getragene Meinung, so einfach ist das. Lässt man sich einmal nicht beirren und wirft einen etwas intensiveren Blick auf das Geschehen, sieht man mehr Polizei als Meinung. Denn jene 4000 Demonstranten werden fein säuberlich in leicht verdauliche Häppchen gehackt, welche wiederum von hartnäckigem Polizeiaufgebot umhüllt werden. Es ist der größte schwarze Block von staatlicher Seite, der am besten ausgerüstete noch dazu.
Die friedliche Demonstration, nunmehr ein Wanderknast, hat sich also bis auf weiteres erledigt. Übrig bleibt eine enttäuschtes Konglomerat aus Krawalltouristen, Kindern, Mackern, Linken und Ordnungshütern. Letztere setzen sich voller Elan für eine Umverteilung des nassen Elements ein, während das Volk an nichts anderes mehr denkt als den Heimweg. So kam es, dass in diesem Jahr weitaus weniger als üblich von Krawall, Chaos und Terror die Rede war – stattdessen lobte man ausgiebig die Polizei und freute sich, dass dieser unser Rechtsstaat endlich wieder wie geschmiert lief. Das Interesse der Demonstranten musste dabei selbstverständlich außen vor bleiben.
Neue Formen des Protests
Am Tag der Arbeit, dem ersten Mai selbst, war es dasselbe – Mannschaftswagen schienen einem jeden Moment auf die Fersen zu fahren, links und rechts die Pikenierer des 21. Jahrhunderts. Ich will nichts hören von der Legalität eines solchen Einsatzes – Fakt ist, dass ich mich durch dieses Verhalten nicht nur unmittelbar in meiner Bewegungsfreiheit behindert fühle, sondern dass daraus gleichfalls eine starke Beschneidung meiner Äußerungsmöglichkeiten erfolgt. Das alles ist Resultat einer unzeitgemäßen, defizitären Politik des Generalverdachts, unter den zu stellen man jedes Individuum außerhalb der herrschenden Linie gewillt ist.
Nun stellt uns das vor neue Aufgaben – wollen wir bei der nächsten Demonstration dasselbe erleben? Es geht auch anders. Wir müssen uns neue Strategien, neue Konzepte, ja völlig neue Formen des Protests überlegen. Man muss nicht mehr die Stuttgart-21-Keule schwingen, um Polizeigewalt oder auch nur Repression durch Überrepräsentation zu illustrieren. Ein nüchterner Blick aus dem Fenster reicht aus: der Grauton, zu dessen Gewinnung eben auch schwarz benötigt wird, herrscht. Reklame verdeckt Plakatkunst, Stadtmarketing verdrängt Arbeiterviertel, Polizei verhüllt Demonstranten. Womit können wir noch auf den Strom reagieren? Nicht, indem wir gegen den Strom schwimmen – sondern indem wir einen eigenen Strom bilden. Ein Strom etwa, der durch die Stadt schwimmt, wie es der Aktion „Jump & run“ anlässlich der Innenministerkonferenz in Hamburg durchaus gelungen ist. An solcherlei Konzepte sollte der Protest der Zukunft anknüpfen, denn eine andere Praxis ist unabdingbar.
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