Viele sprechen in letzter Zeit von den sogenannten „Hipstern“. Das sind keine neuen Turnschuhe, sondern Leute, die sich von der Bewegung der Independent-Labels losgelöst und einen selbstständigen Stil entwickelt haben, der sich an das Alternative anbiedert wie Eminem an den Black Hip Hop. Diese jungen Menschen sind lebendige Paradoxa – sie geben sich freigeistig, unabhängig und individuell, treten aber gleichzeitig als zutiefst dogmatische Massenbewegung mit apolitisch-hedonistischer Lebenseinstellung auf.
Gönner und Golfer im Proletenlook
Was wollen diese Hipster und wo findet man sie? Ein Beispiel ist das Kunst- und Musikfestival „MS Dockville“ in Hamburg-Wilhelmsburg, zu dem sich jährlich ein ganzer Haufen solcherlei Gestalten versammelt. Gegründet wurde das Festival im Rahmen eines groß angelegten Gentrifizierungsprojekts zur Aufwertung des Stadtteils Wilhelmsburg.
Dass das als Basis eines Festivals für alternative, namenlose Künstler herhalten kann, ist nur im Kontext der sozialen Stellung jener Subkultur zu verstehen: Hipster sind der Nachwuchs der modernen Bourgeoisie, also nicht mehr und nicht weniger als die kommenden Besserverdiener am Strom der Zeit. BWL-Studenten in Anzug und Krawatte, von morgens bis abends mit Headset verkabelt? Olle Kamellen – heute sind es die lässig bis abgenutzt gekleideten Kommunikationsdesigner mit iPad.
Demotape statt Demonstration
Die Jugendlichen und Spätpubertären, die sich mit den Hipstern identifizieren, sind jedoch nicht nur im Glauben steckengeblieben, sie wären eine Nische, obwohl sie längst Teil einer Massenformation sind. Als ob das nicht genug wäre, sind sie auch noch freiberufliche Postkritiker. „Wer es am lautesten rausruft, liegt am häufigsten falsch“ – das ist ein Gesetz, das auch in diesem Fall nichts an Gültigkeit einbüßt. Die sogenannten Hipster haben sich Freiheit und Unabhängigkeit auf die Fahnen geschrieben, landen am Ende aber trotzdem bei der FDP (oder, Stichwort Avantgarde, bei den Piraten).
Postkritik ist eine kreative Form von Politikverdrossenheit. Sie äußert sich in der Adaption von Versatzstücken rebellischer Symbolik und Optik, politischem Vokabular und dem naiven Wiederaufgreifen alter Musikikonen und Posterboy-Revolutionäre (Kurt Cobain, Che Guevara). Wenn dann noch jemand Bert Brecht oder Rosa Luxemburg kennt, ist das so aufregend wie die neue App für den iPod. Am Ende heißt es aber: Demotape statt Demonstration.
Antikapitalismus rettet Kapitalismus
Das Phänomen Hipster ist vermutlich eine weitere Erscheinungsform der Absorptionsmacht des Kapitalismus. Einem schwarzes Loch gleich entmachten Vermarktungslogik und der Sexappeal von Geld das progressive Potential der Jugend. Die Schulen schreien uns jungen Leuten regelmäßig irgendwas von wegen Verfügbarkeit auf dem Arbeitsmarkt, Konkurrenz, Zukunft links und rechts in die Ohren; die Langeweile hängt uns zum Hals raus, bis wir zurückfallen zu Statussymbolen und Gruppenzwang.
Dass in China bald kein Sack Reis mehr umfällt, weil der Reis alle ist, interessiert kein Schwein so brennend wie das letzte Status-Update bei Facebook. Oder der letzte Tweet. Oder der letzte Schrei. Jetzt ist es endlich auch möglich, dass der Antikapitalismus den Kapitalismus rettet.
Ich finde die ganze Bewegung von demher spannend, weil ich selbst in keiner Weise ein Hipster bin, aber das pseudo-alternative Denken doch ziemlich gut kenne – aus meiner eigenen Erfahrung und aus meinem privaten Umfeld. Wir sind irgendwo stecken geblieben zwischen „Ich tue ein bisschen was, weil ein bisschen ist besser als nichts“ und „Ich mag mein Smartphone und meine Turnschuhe aber trotzdem behalten“.
Das Smartphone und die Turnschuhe sind dabei natürlich nur kleine Beispiele für eine weitaus komplexere Realität. Sicher, da gibt es Leute, die wollen kein iPhone. Und kaufen sich dann ein Samsung-Smartphone – das Ding wird halt in irgendeiner anderen miesen Fabrik produziert, aber zum Glück weiß man darüber noch nichts Genaues. Oder man macht es wie ich: Kein Fleisch mehr essen. Aber Eier und Milch weiter. Obwohl ich ganz genau weiß, dass die männlichen Küken in den Schredder und die Kühe am Ende trotzdem auf den Schlachthof kommen.
Ein erster wichtiger Schritt ist vielleicht, sich einzugestehen, dass man selbst sehr viel falsch macht. Und dass es keine Rechtfertigung ist, zu sagen: Aber der Rest macht das doch auch. Ich kenne niemanden in unserem Land, der eine weiße Weste hat. Mich selbst eingeschlossen.