Wahrscheinlichkeitsrechnung

Mit Leidenschaft im Hamsterrad

Man sagt: Revolution ist nur was fuer junge Leute, die noch nicht wissen, wohin mit all ihrer Energie. Den Umwaelzungstrieb abzulegen sei Teil des Erwachsenwerdens. Was wird aus diesem Trieb? Arbeitskraft – aus voller Leidenschaft im Hamsterrad strampeln. Eigentlich sind wir alle ziemlich konservativ.

Die Welt, so wie sie ist, gefaellt mir nicht – und ich bin damit sicher nicht allein. Also fragt man sich doch: Wie stellt man Veraenderung an, wie zieht man sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf? Versammelt man einige Haudegen und greift zu den Waffen? Unterwandert man das Parlament und verkuendet eine neue Republik? Geht man demonstrieren? Tritt man einer Partei bei? Oder bringt man schuldbewusst alle vier Jahre das Kreuzchen aufs Papier?

Es ist nicht nur eine Frage von Revolution oder Reform, nicht nur eine Frage von Parlament oder APO. Vielmehr muessen wir uns ganz fundamental fragen, was wir aus unseren Idealen machen wollen – haengen wir sie eingerahmt an die Wand? Lassen wir sie im Buecherregal verstauben? Verleugnen wir sie bei einem Glas Wein im Salon? Nicht selten geben wir sie auf, wenn wir was aus uns machen wollen. Auf dem Weg nach oben vergessen wir allzu leicht, was wir eigentlich mal wollten. So sind auch die roten Wurzeln der gruenen Partei verkuemmert. In diesem Sinn faellt es uns auch so leicht, SUVs zu fahren und Atomstrom zu schluerfen, solange wir Solarpaneele auf dem Dach haben.

Bio-Tomaten mit Revolutionstrieb

Unsere Moral- und Wertevorstellungen sind kaum mehr als ein Knigge. Wir benutzen sie nicht anders als buntes Geschenkpapier: Wo „moralisch“ draufsteht, ist auch „moralisch“ drin. Dumm sind wir zwar eigentlich nicht, aber diesen Scheiss glauben wir allem Anschein nach wirklich. Dementsprechend projizieren wir unseren unueberwindbaren Revolutionstrieb auf Auto-Aufkleber und Bio-Tomaten. So behaupten mittlerweile saemtliche Werbekampagnen alternativ getarnter Produkte, der Konsum selbiger sei de facto eine revolutionaere Handlung.

Aber was soll man machen? Uns sind die Haende gebunden. Jedenfalls ist das der Schluss, den man nach jedem Gespraech ueber Revolution zu ziehen sich gezwungen zu sehen glaubt. Ich will alles anders! Aber irgendwie muss man ja auch sehen, wo man bleibt. Muss das so sein? Muss man als Steineschmeisser entweder in den Knast oder BWL studieren? Muss man entweder Marx lesen und als Taxifahrer enden oder das Manifest zum Altpapier werfen und sich zum Versicherungschef hocharbeiten?

Gutes Gewissen per Beichtstuhl

Alternativ kann man bei der Sache bleiben. Die einen solcher Couleur werden versteinerte Dogmatiker; die anderen unausstehliche Besserwisser. Die Uebrigen sind die, die man sich wuenschen wuerde: Menschen, die jeden Tag an ihren Idealen arbeiten. Menschen, die ihre Grundsaetze als Handlungsmaximen begreifen. Das sind nicht die, die der Oma ueber die Strasse helfen, beim Bettler ihr Kleingeld lassen und nur chlorfrei-gebleichtes Papier benutzen. Das sind die, die sich ein gutes Gewissen erkaempfen wollen, statt es einmal im Monat im Beichtstuhl abzuholen.

Aber gibt es solche Menschen? Ich koennte von mir nicht behaupten, dazuzugehoeren. Laesst unsere Gesellschaft ueberhaupt zu, so zu sein? Nicht innerhalb der Akzeptanz – wer dazugehoeren will, muss sich an bestimmte Gesetze halten. Sich ueber sie hinwegzusetzen heisst, sich von den anderen zu verabschieden. Filmheld Christopher McCandless aus Into the Wild hat das geschafft, ist damit aber hoffnungslos allein geblieben und musste schliesslich mit dem eigenen Tod bezahlen.

Am Ende bleibt uns uebrig, ueber Revolution zu sprechen. Uns bewusst zu machen, was moeglich ist und was nicht. Ideale moeglicher zu machen ist moeglich.

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Ein Kommentar

  1. Mai 15

    „Laesst unsere Gesellschaft ueberhaupt zu, so zu sein?“

    Ein Ausbruch aus unserer Gesellschaft – nicht alleine, sondern mit anderen, denn wo er alleine hinführt, dass hat McCandless gezeigt; Leben muss man teilen, um es Leben nennen zu können – ist denke ich das Schwierigste, was man tun kann. Ich stelle mir vor, dass es gleichzeitig auch das Beste ist für jeden, der nicht mehr Macht hat, als seine eigene Stimme. Aber sicher weiß ich das nicht und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich es nie erfahren werde.

    Und deshalb ist das Mindeste, was man aus meiner Sicht tun kann (also wirklich tun kann, auch wenn es schwer scheint), sich dazu durchringen, die eigene Stimme als Machtmittel ernst zu nehmen. Und das meine ich nicht unbedingt im demokratischen/politischen Sinne, weil wählen in meinen Augen mehr sein muss als eine von fünf, vielleicht sechs Organisationen zu stützen oder zu stürzen. Politik ist auch, wenn man einkauft oder in den Urlaub fährt.

    Solange man diese Macht nicht zu 100% umsetzt, richtet man trotzdem Schaden an. Und genau das fällt unglaublich leicht, weil es eben alle tun. Aber gerade weil es so normal ist, Schaden anzurichten, ist Schadensbegrenzung zumindest ein Schritt in die richtige Richtung.

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