Das Falsche im Richtigen

Wenn in Oregon der soundsovielste, wie Obama es nennt, „Massenmord“ verübt wird (siehe Pressekonferenz 01/10/15), dann tickt, da liegt Obama nicht falsch, etwas nicht ganz richtig. Man kann sich allerdings uneinig sein darüber, was genau nicht richtig tickt: Für die einen ist es das Waffengesetz, über das seit einiger Zeit wieder und wieder gestritten wird – das sich das nicht so schnell über den Haufen werden lässt, haben die Republikaner mehrfach deutlich gemacht, und da kann Obama (ein Hoch auf die Gewaltenteilung) dann auch nicht viel machen (nicht mehr, zumindest, als unermüdlich zu problematisieren). Für wiederum andere liegt das Problem weniger im Legislativen als vielmehr im Kulturellen – ob der schießgeile Texaner allerdings eine akkurate (geschweige denn legitime) Pauschalisierung ist, bleibt fraglich.

Eine ganz andere Frage kann sich darüber hinaus ebenso stellen: Vielleicht haben wir es bei den inneren Staatsfeinden (hier: Geisteskranke, manchmal auch: Terroristen, bestimmt aber nicht: Subversive) auch ganz einfach mit uns selbst zu tun. Schon im Fall Breivik schien der Öffentlichkeit klar wie Kloßbrühe zu sein: Ein Extremist. Wir sind das geballte Zentrum einer Konsensgesellschaft, und jeder politische wie psychische Dissident ist ein separat zu betrachtender Störfaktor.

Alternativ ließe sich das Phänomen allerdings auch gewissermaßen als Symptom einordnen, ein pervertierter Ausdruck derselben Konsensgesellschaft. Ohne jede Schuldzuweisung, denn es soll hier keineswegs um kollektive Täterschaft gehen, liegt doch ein Kernproblem im Konsens selbst. Der Konsens ist hier zu verstehen als unausgesprochener, unsichtbarer Gesellschaftsvertrag, ein bisschen wie die britische Verfassung ist er das wortlose Regelwerk sozialen, ökonomischen, politischen und interrelationalen Umgangs. Es sind nicht nur Normen und Werte, die wir teilen, sondern vor allem auch Klassifizierungen, Kategorien und Definitionen, die wir nehmen, wie sie kommen. Anhand dieser unbuchstäblichen Buchstäblichkeiten hangeln wir uns durch das Leben entlang einer vagen Linie, von der jeder meint, ganz genau zu wissen, wo diese sich befindet.

Unangesprochen bleibt dann jedoch nicht nur, woher diese konsensualen Bestimmungen stammen, sondern – mit wesentlich kontroverseren Folgen – wohin eben jene führen können. Dass der wahnsinnige Bewaffnete durchdreht und blind in eine unschuldige Menschenmenge schießt, dass jemand sich krankhaft einer fatalen Mission unterwirft oder dass Islamisten (ebenso aus unserer Mitte!) in Paris Künstler hinrichten – ist das so aussätzig? Es mag sich mehr als fremd anfühlen, es mag einen außerweltlichen Eindruck machen, doch ein Fakt unter vielen ist: Die Psychopathie des Täters ist immer zu einem gewissen Grad auch genährt von Kultur, Sozialisierung, Sozioökonomie und – Konsens. Das dem Neoliberalen Egale, das dem Unternehmer Profitable, das der Mitte Angeeignete hat eine Kehrseite, eine Opferschaft gewissermaßen im Täter, der unter Umständen nicht nur ein Aggressor, sondern auch ein tragisch verschärfter Ausdruck dessen sein mag, was wir selbst zulassen.

Diese Identifikation soll nicht polemisch oder hämisch ein Thema verzwecklichen, das eine sehr menschliche, sehr dramatische Seite hat. Ganz im Gegenteil könnte sie das Potential in sich tragen, das Extrem zu entseparieren und so das Kind zurück in seine Wiege zu legen. Daran kann eine Gesetzesänderung womöglich nicht viel tun.

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2 Kommentare

  1. CK
    Oktober 4

    Hey Jan!

    Ich lebe jetzt seit 6 Jahren in den USA — und bin auch seit dem Anfang bei deinem Blog mit dabei ;) Die „Linken“ in den USA haben das Problem, dass sie viel zu stark daran glauben, dass schaerfere Waffengesetze die Loesung aller Probleme ist. Die Kernprobleme liegen aber wahrscheinlich in anderen Richtungen — das fehlende Supportsystem fuer Geisteskrankheiten zum einen und zum anderen die Moeglichkeit sich Waffen legal zu kaufen ohne die angemessene Ausbildung zum Besitz oder Fuehren zu haben. Die CCW Kurse sind ein Witz. Diese Probleme sind natuerlich im Endeffekt wieder gesellschaftliche Probleme.

    (Can you tell I haven’t written much in German in years?)

    Chris

  2. Oktober 5

    Freut mich, dich immer noch hier begrüßen zu dürfen! Danke für deinen Beitrag. Du sprichst zwei wichtige Punkte an: Erstens, die sozialstaatlichen Unterstützungsoptionen für psychische Probleme, an denen in den USA ein klarer Mangel vorliegt, den zu beheben eine der vordersten Prioritäten sein sollte. Das geht Hand in Hand mit dem Bedarf an einer humanistischeren Perspektive auf das Problem (an stelle von legalistischen Argumenten, die angesichts der emotionalen Dimension des Themas kühl-kalkulativ wirken).
    Zweitens, der Zugang zu Waffen, der nicht nur mit Gesetzen zu klären ist, sondern eben auch kulturell. Eine Verfassungsklausel, die offiziell die Legitimität einer zivilen Miliz untermauert, ist da nicht sehr hilfreich. Deshalb, wie du sagst: Wir sehen uns hier mit gesellschaftlichen Problemen konfrontiert.

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