Islamisten oder Bekloppte?

Es macht einen seltsamen Eindruck, wenn plötzlich in den Live-Updates zum gestrigen Vorfall in München davon die Rede ist, es handele sich zunächst nicht um eine islamistisch motivierte Tat – und wenn dann, am Morgen danach, in den Schlagzeilen dennoch der „Anschlag in München“ diskutiert wird. Ebenso seltsam ist die Art und Weise, wie der notorisch panische Hamster Hollande reagiert; ebenso seltsam die von Boris Johnson „globale Krankheit“ Terrorismus (cf. Independent). Sind seit den Trendsettern von Paris und Brüssel durchgedrehte Amokläufer jetzt auch islamistische Terroristen? Der erste Dominostein scheint gefallen.

Punkt 1: Wir sind Weltmeister im Schwarzmalen. Wenn uns jemand ein Dorn im Auge ist, dann so richtig – Bin Laden, Hussein, Gaddafi, Putin, Erdogan können ein Lied davon singen. Sie alle waren oder sind Zielscheibe einer dichotomischen Diplomatie, die sich nicht dazu in der Lage sieht, Nuancen zu zeichnen, Kompromisse einzugehen, geschweige denn sich vorzustellen, dass Demokratie eine kontextuelle Bedeutung hat. Wenngleich sie sich aus gutem Recht mit offensiver Kritik konfrontiert sehen müssen, werden sie doch auch zum manipulativen Meisterstück der politischen Instrumentalisierung, die nur wenig mit moralischen Maßstäben zu tun hat.

Das Schwarzmalen braucht dann natürlich auch ordentlich schwarze Tinte – und die lieferten die zahlreichen Menschen, die den Vorfällen Charlie Hebdo, Bataclan, Zaventem zum Opfer fielen. Der grinsende Teufel IS reibt sich derweil die Hände über jeden weiteren Augenzeugen, der ein „Allahu Akbar“ gehört haben will. Und so auch in Nizza, Würzburg und nun München: Auch wenn wir eigentlich alle wissen, dass wir gerade Äpfel für Birnen verkaufen, bringt das Schwarzmalen einfach so viel Spaß.

Punkt 2: Wir lieben Panik. Nichts da mit Sommerloch, diesmal ist richtig was los! Innerhalb von kürzester Zeit macht sich halb Europa vor lauter Angst vorm Araber in die Hosen. Nie zeichnete sich nordeuropäische Doppelmoral deutlicher ab – hier, zwischen Flüchtlingshilfe und sogenannter Islamkritik. Einer der (freiwilligen oder vielleicht sogar unfreiwilligen) Freizeitprofis der Panikmache ist der Sozialist im EC-Kartenformat Francois Hollande. Nicht nur in Reaktion auf Nizza, wie Zementblog bereits kommentierte, hat er vor allem Angst unter Beweis gestellt – auch München schien ihm in erster Linie ein Symptom.

Wenn etwas symptomatisch ist, dann liegt es an einer Krankheit, einem sich systematisch ausbreitenden Phänomen. Sprich: Alle Gewaltausbrüche jenseits des Alltäglichen sind jetzt nicht die tödlichen Ausraster von Psychopathen, sondern politische Gewalt, Terrorismus, am besten noch mutmaßlich islamistisch motiviert. Denn die reichen im Moment – Mutmaßungen. Angst ist Trumpf, denn sie schlägt gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: a) spielen dann die werten MitbürgerInnen mit, ohne dass man sie dazu auffordern müsste, und b) lassen sich im darauf fußenden Notstand ganz leicht sogenannte Sicherheitsvorkehrungen aller Couleur hochschrauben.

Punkt 3: Amoklauf ist out. Der Münchner Mörder David, wahlweise auch Ali (klingt wahrscheinlich stimmiger), wird einhellig beschrieben als „ein Sonderling und Verlierertyp“ (Spiegel), „shy and overweight“ oder selbst „an unhappy outcast“ (The Guardian). Er sagte von sich selbst, in einer wütenden verbalen (!) Auseinandersetzung mit einem Augenzeugen, dass er eine zeitlang stationär behandelt worden war, und die Polizei bestätigt mittlerweile, dass David vermutlich unter schweren Depressionen litt. Außenseiter? Depressiv? Schießerei? Klingt nach Erfurt und Winnenden, nicht Brüssel und Nizza.

Aber es kann nicht sein, es soll nicht sein. Der Tatsache zum Trotz, dass sich der gestrige Vorfall am fünften Jahrestag des Breivik-Massenmords in Norwegen ereignete, eine Kontinuität also, die sich wohl eher zufällig ausgerechnet jetzt als eine andere ausgab, bleiben die Antiterroristen hartnäckig. Amoklauf ist gerade nicht angesagt, also muss der IS irgendwie auch in die Schlagzeilen. Deshalb war David/Ali „obsessed with mass shootings but had no known links to the Islamic State group“ (BBC) – schade, scheint die Journaille das zu finden.

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