Wieso sind wir uns alle immer so einig?
Bevor ich mein Studium anfing hatte ich noch eine etwas romantische Vorstellung vom Studentenleben: hitzige Debatten in verrauchten Bars, kontroverser Gesprächsstoff im Hörsaal, politische Stellungnahmen auf obskuren Flugblättern und radikale Protestaktionen im Wochentakt. Der studentische Revolutionär in mir kam, suchte, fand nicht desgleichen, und starb bevor er überhaupt geboren war. An seiner statt blühte in mir der Meister des Konsens auf, der Schlichter schlechthin, der Moderator und Moderierte, der progressive Reaktionär. Warum? Sind wir der Gegenpol zur 68er-Elterngeneration? Ist Bologna schuld? Oder die FDP?
Statt Kontroversen traf ich während, aber sehr deutlich auch außerhalb meines Studiums auf eine Ja-Sagerschaft die ihresgleichen sucht, und wirkte tatkräftig (manchmal ohne es zu merken, manchmal in vollem Bewusstsein) an ihrer Vorherrschaft mit. Das Mandat lautete, und lautet scheinbar noch immer: Spannungsausgleich. Wir, meine Generation, suchen Gleichgewicht, work-life-balance, Stressabbau und Erfolgsgeschichten im Einklang mit jedem und allem. Demgegenüber ist die Konfrontation eine Zumutung. Ist das gut oder schlecht?
Burnout war nur der Anfang
Zum einen ist es natürlich klasse dass wir, so mag man meinen, Gegenstand einer Kritik sind, die wir tagtäglich selbst formulieren: Wir sind Macher und Leidende einer Tragödie in der die Mid-Life-Crisis zum Gegenstand der späten Jugend geworden ist, in denen der Burnout das Ultimatum einer marktgesteuerten Ausbildung und eines marktgesteuerten Studiums darstellt; die Losung lautet work hard, play hard, und am Kaffeeautomaten scherzen wir noch über unsere Drogenabhängigkeiten.
Gleichzeitig aber gehen wir einen deutlichen Schritt über die Kultur des Ausbrennens hinaus: Die zum Mainstream gewordene Nachfrage nach life coaches, Stressmanagement-Kursen, und hot yoga konstruiert keine kritische Plattform, sie sind vielmehr Plattitüden, die den Gegenstand ihrer Kritik reproduzieren. Auf unsere tiefliegenden Unsicherheiten, mit anderen Worten, reagieren wir mit einer Versicherheitlichung die uns vermeintlich einen Ausweg aus der Unsicherheit bietet, sie aber stattdessen gerade am Leben hält. Das eigentliche Symptom unserer Generation ist nicht, dass wir alle vor Stress kaum mehr können, sondern dass wir so unglaublich viel dagegen tun – das Problem ist nicht, dass wir durchdrehen, sondern dass wir abdrehen.
Reaktionärer Zwangskonformismus
Die Konsenskultur ist, in Konsequenz unserer obsessiven Präventivhaltung, eine Art vor-faktischer Prophylaxe – eine Aspirin ohne Kopfschmerzen. Unsere Unsicherheiten, tagtäglich aufs Neue gestärkt und ins Bewusstsein gerufen, werden von einem panischen Harmoniebedürfnis für beschwichtigt gehalten. Wir weichen aus, wir vermeiden, wir verziehen uns – und vergessen, wie gewalttätig das ist. Die Angst vor der Konfrontation ist eines, die manische Unterdrückung jedes widerständigen Impulses ist ein völlig anderes: sie ist reaktionärer Zwangskonformismus. Lasst uns immer einig sein! Lasst uns keine Meinungsverschiedenheiten haben! Lasst uns Toleranz so groß schreiben, dass sich ihr eigentlicher Gegenstand in Luft auflöst!
Also, wer ist Schuld? Wie ist es hierzu gekommen? Eine Vielzahl an Erklärungen dürfte hier zusammenfließen, denn wir sind nicht eine Generation, wir sind nicht schlicht das Produkt unserer Eltern. Vielleicht haben wir die Schnauze voll von unseren Eltern, den hoffnungslosen Hippies, Weltverbesserern, und Postradikalen, die ihre Ideale früher oder später sowieso belogen und betrogen haben. Vielleicht sind wir uns noch nicht einig genug, welchen Stellenwert wir dem digitalen Zeitalter zuerkennen wollen oder dürfen – vielleicht ist unsere Meinungslosigkeit das Ritalin gegen die Unanalysierbarkeit des Live-Tickers und des Facebook Newsfeeds. Oder vielleicht sind wir am Verzweifeln. Vielleicht haben wir unseren inneren Revolutionär unterm Bett verstaut, oder im Garten vergraben. Vielleicht ist es Zeit für sein Comeback, und vielleicht können wir dann, endlich, wieder richtig entspannen – ohne Melatonin-Tabletten, und ohne Mindfulness-Wochenendseminar.
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