Wir sollten alle Feministen sein

Warum ist das Wort „Feminismus“ so verpönt? Warum tun sich Männer damit so schwer, sich selbst als Feminist zu verstehen? Und was spricht dagegen, alle miteinander Feministen zu sein? Es wird langsam Zeit (falls es nicht schon immer Zeit war), sich zu bekennen und zu sagen: Wir sollten alle Feministen sein. Feminismus ist nicht nur eine „Frauenangelegenheit“, als ob Menschenrechte nur etwas für „Menschenrechtsverletzte“ wären. Feminismus kann nicht nur als Kampfansage gelten, sondern sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Und Feminismus ist mehr als ein schwammiger Begriff für „Frauenrechte“, mehr als eine stellvertretende „Frauenquote“, und weit mehr als #MeToo.

Feminismus ist nicht nur für Frauen

Die Idee, dass Feminismus nur was für Frauen ist, ist erschreckend weit verbreitet. Warum ist das so? Weil sich eine erschreckende Mehrheit schlicht und ergreifend überhaupt nicht mit Feminismus auseinandersetzt. Eine erschreckende Mehrheit, der weder Rosa Luxemburg, noch mit Simone de Beauvoir, noch mit Sandra Harding oder Judith Butler vertraut, geschweige denn ein Begriff sind, aber eine Mehrheit die ebensowenig darüber nachgedacht hat, dass eine feministische Haltung eigentlich gerade für Männer entscheidend sein könnte.

Die Geschichte des Feminismus reicht von den ersten Frauenrechtsbewegungen über die sexuelle Revolution der 68er bis hin zum heute verbreiteten Konstruktivismus, in dem Geschlechterrollen unabhängig vom biologischen Geschlecht als performance verstanden werden. Nach wie vor teilt sich der Feminismus grob in eine liberale Mehrheit, die sich zum Beispiel für Frauenquoten am Arbeitsplatz und in der Führungsetage einsetzt, und eine radikale Minderheit, die für grundlegende gesellschaftliche, kulturelle, und politische Umwälzungen plädoyiert.

Beide Ideengerüste sind Feminismen, die sich die Emanzipation der Frau von einer patriarchalischen Gesellschaft zum Ziel setzen – die aber eben sowohl Emanzipation als auch Patriarchat anders verstehen, und in anderen Zusammenhängen sehen. Wichtig: Das Patriarchat ist nicht, wie es selbsterklärte Männerkenner und Alltagssexisten (wie etwa Mario Barth) zu erkennen geben, eine abstruse Verschwörungstheorie, sondern schlicht und ergreifend ein theoretisches Konzept der Frauenunterdrückung.

Klar ist, dass weltweit eine patriarchalische Tendenz vorherrscht, und man muss kein Linker sein um das einzusehen: In Deutschland müssen Frauen „ganz normalen“ Sexismus im Alltag von Vorgesetzten, Lehrern, Professoren, Politikern ertragen; in Indien, das kürzlich als das „gefährlichste Land für Frauen“ eingestuft wurde, sind Vergewaltigungen mittlerweile alltäglich; und in Kriegen und Konflikten weltweit wird sexuelle Gewalt gegen Frauen als Waffe eingesetzt. Das ist nichts Neues, aber auch nichts Altes: Sexistische Bemerkungen, „unbedarftes Grabschen“, und körperliche Übergriffe sind Bestandteil des Lebens, wenn nicht selbst des Alltages, von Frauen weltweit.

Was das Männer angeht? Erstens genießen Männer in weiten Teilen der Welt gesellschaftliche Privilegien, die ihnen Anreize zum Machtmissbrauch bieten (und Machtmissbrauch fängt dort an, wo er am wenigsten erkannt wird: im Alltag, in unseren Witzen, in unseren unausgesprochenen Erwartungen). Das soll nicht heißen, dass Männer von Natur aus Arschlöcher sind – ganz im Gegenteil ist das Argument des Patriarchats ein ausgesprochen politisches: Wir haben unsere Gesellschaft so gestaltet, dass Männer strukturelle Vorteile genießen und diese zum strukturellen Nachteil der Frau ausnutzen.

Ein politisches Argument hat aber auch ein politisches Gegenargument, und das gilt besonders für das konstruktivistische Verständnis des Feminismus: Was wir so konstruiert haben, können wir auch anders konstruieren. Genau deshalb ist es so wichtig, dass Männer ihren Anteil wahrnehmen und sich der von Grund auf menschlichen Mission des Feminismus anschließen, denn wenn das Problem ein Problem der Macht ist, dann ist das Verhalten der Mächtigen ganz klar ein Schlüsselproblem.

Feminismus ist nicht nur eine Kampfansage

Oft wird Feminismus als Kampfbegriff verklärt und mit aufrührerischem Aktivismus gleichgesetzt. Klar ist: Pussy Riot & Co. sind wichtige Bestandteile der weltweiten feministischen Bewegung, und jede Bewegung hat ihren eigenen Stil, ihre eigenen Ansprüche, und setzt sich ihre eigenen Ziele. Feminismus ist allerdings mehr als nur eine Kampfansage „gegen den Mann“, und überhaupt ist Feminismus nicht einfach „Anti-Männer“. Feminismus ist eine Haltung, und zwar nicht nur eine politische, sondern auch eine kulturelle und eine philosophische Haltung.

Zum Feminismus gehört etwa die Überzeugung, dass gesellschaftliche Strukturen aufgebrochen werden können, und dass diese Strukturen auch im ganz Banalen, Alltäglichen Ausdruck finden. Das bedeutet, dass auch Dinge, die manchen unbedeutend und ohne Konsequenzen vorkommen, ernstgenommen werden müssen und unter Umständen einer Diskussion bedürfen. Dasselbe Argument findet sich zum Beispiel im Antirassismus und in der Kritik der Ausländerfeindlichkeit: Nur weil es mir nicht wichtig erscheint, dass wir weniger rassistische Witze machen, weil ich mich davon nicht betroffen fühle, bedeutet das nicht, dass sich andere davon nicht betroffen fühlen.

Feminismus ist mehr als eine Frauenquote

Feminismus ist weit mehr als eine Frauenquote, und ich würde sogar so weit gehen zu fordern, dass wir alle nicht bloß Feministen sein sollten, sonder radikale Feministen. Der liberale Feminismus verhält sich in etwa so zum radikalen Feminismus wie Aspirin zur Intensivstation: Für die einen reicht es aus, Symptome zu bekämpfen, ohne deren Ursachen angehen zu wollen, während die anderen auf grundlegende Veränderung setzen und hoffen. Der Unterschied ist eine der ältesten politischen Trennlinien der Welt, doch unabhängig davon, auf welcher Seite man sich befindet: Wir müssen zumindest Raum für mehr als nur Frauenquoten schaffen, denn ganz offensichtlich geht es hier um mehr als nur Positionen in der Führungsetage oder Gehältergleichheit (obwohl es ganz klar auch darum geht!).

Es geht darüber hinaus auch um kulturell-politische Neigungen, Erwartungshaltungen, und Tendenzen. Beispiel Bildung: Ich habe in meinem Masterstudiengang einmal gezählt, wie viel von unserem Kernmaterial von Männern verfasst und veröffentlicht wurde, und das Ergebnis war erschreckend. Von 270 Autoren insgesamt waren nur 30 Frauen, also knapp 11%. Von diesen 11% waren eine deutliche Mehrheit der Autorinnen Feministinnen und kritische Theoretikerinnen – sprich von den wenigen Frauen, die im Lehrplan überhaupt vertreten waren, wurde die Mehrheit in die „linke Ecke“ abgeschoben. Was sagt das darüber aus, inwieweit der Wissenschaftsbetrieb femininen Erkenntnisgewinn wertschätzt? Und mit welchen Folgen für die Bildung von Frauen und Männern? Welches Weltbild unterliegt einem Lehrplan, der Frauen strukturell ausschließt – und wenn er sie einschließt, dann nur unter der Bedingung, dass sie „ihr eigenes Gebiet“ abstecken?

Feminismen für alle

Natürlich gibt es nicht nur einen Feminismus, dem wir uns alle zu verschreiben hätten. Es gibt viele Feminismen, denn jede und jeder wird eine andere Vorstellung davon haben, auf welche Weise wessen Emanzipation zu erreichen, erarbeiten, oder erkämpfen ist, und welches das Kernproblem ist, an dem diese gescheitert ist, gegenwärtig scheitert, oder in der Zukunft scheitern kann. Warum sollte dann jeder Feminist sein?

Jeder sollte Feminist sein, weil die Probleme, unterliegenden Gesellschaftsstrukturen, und politischen Haltungen und konkreten Konsequenzen, mit denen sich der Feminismus auseinandersetzt, jede und jeden angehen. Strukturelle Unterdrückung und Ungerechtigkeit sind gesellschaftliche, kulturelle, und politische Probleme in den Händen aller, und um solche Probleme zu überwinden, bedarf es nicht nur des Widerstandes der „Betroffenen“, sondern auch und gerade des Umdenkens und Umhandelns der privilegierten Gesellschaftsgruppe. Ein Mann, der sich nicht vom Feminismus angesprochen fühlt, ist also kaum anders als ein Mensch, den die Menschenrechte nicht interessieren.

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