Blogparade: Bildergeschichten

SchmetterlingYasmin von „Kreative Literatur“ hat Ende letzter Woche zu einer ganz besonderen Blogparade aufgerufen. Die Idee hat mir auf Anhieb gefallen: Es gibt drei Fotos zur Auswahl; zu einem davon soll man sich eine Geschichte ausdenken und sie im Blog veröffentlichen. Ja, das ist mal eine wirklich großartige Blogparade! Erstens: Ich liebe das Schreiben. Zweitens: Ich liebe es, spontan zu unbekannten Dingen etwas zu schreiben.

Ich habe mir das Bild ausgesucht, welches hier zu sehen ist – was mir dazu eingefallen ist, gibt es im Folgenden zu lesen.

Zwei Sterbende

Flieg, Schmetterling, flieg,
ich hab den Tod besiegt.

Doch wessen Tod? Ich weiß es nicht.
Weiß: Von Angesicht zu Angesicht

stand ich vor dem Bösewicht
und tat endlich meine Pflicht.

Er nannt‘ sich nur Tod, mehr sagt‘ er nicht
und starb allein im Dämmerlicht.

Flieg, Schmetterling, flieg,
ich hab den Tod besiegt.

Das Letzte, was ich im Kopf hatte, bevor ich gestorben bin, war dieses Lied an den Schmetterling. Das Letzte, was ich vor den Augen hatte, bevor ich gestorben bin, war der Schmetterling selbst – auf meiner Hand.

Warum er denn nicht fliegt, habe ich ihn gefragt. Aber er hat mir nicht geantwortet. Er lag nur da, ganz still und starrte an die Decke. Dass er nicht wo anders hinblickte, wunderte mich. Da oben hing schließlich die Lampe, die den Raum füllte mit ihrem kalten, weißen Licht. Solche Lampen müsste man abschaffen, dachte ich.

Viel zu früh schlich sie in den Raum, die Gleichgültigkeit. Und bedauerlicherweise brachte sie die Langweile mit. Das ist immer Gift für mich gewesen. Meine Familie war schon langweilig genug. Jetzt wieder; Besuchszeit, Schönreden.

„Du hast mir gefehlt, mein Schatz.“
„Ich liebe dich.“
„Es ist schön, dich zu sehen.“

Mir war gleich, was sie sagten. Ich hatte mit der Zeit ihr Verhalten auswendig gelernt. Mir lag nichts mehr daran, ihnen etwas zu sagen – ich wusste schon, was sie entgegnen würden. Und ich wusste: Jetzt würde die Hysterie kommen. Das Schluchzen und Schreien.

„Du kannst doch nicht einfach von uns gehen!“
„Ich halte das nicht aus!“
„Was sollen wir denn ohne dich machen?“

Macht, was ihr wollt, dachte ich. Aber macht es mir nicht schwer in meinen letzten Stunden. – Nur eine gute Sache hatte ich von meiner Familie behalten. Eine Sache von meiner Schwester, die mir wie eine Mutter gewesen war. Es war das Lied an den Schmetterling.

Mit der Familie ging auch die Gleichgültigkeit und die Langeweile wieder heim. Nur, weil sie das Fenster offen gelassen hatten, ist es dann gekommen, wie es gekommen ist. Durch eben das Fenster ist er nämlich hereingekommen. Nein, hereingeflattert ist er, der wunderschöne Schmetterling. Ganz still für meine Ohren, und setzte sich auf meine Hand.

Ich vernahm zweierlei in diesen Augenblicken: Das unerträgliche Sirren der Lampe und… das beruhigende Atmen des Schmetterlings. Ganz sacht und ganz kurz bewegte er seine Flügel, doch blieb weiter sitzen. Nach einer Weile krabbelte er von der Handfläche auf die höher gelegene Kuppe meines Zeigefingers. Er schien mich anzuschauen und zu erwarten, dass ich verstand, was er vielleicht erzählte.

Ich stellte mir vor, dass er eine Geschichte von zwei Sterbenden erzählte. Der Eine hatte beschlossen, dem Andern seine letzte Lebenskraft zu spenden, damit der noch weiterleben könnte. Also kämpfte er mit dem Tod des Andern, gewann und sang dem Überlebenden der beiden Sterbenden das Lied an den Schmetterling, schlief dabei ein und erwachte niemals wieder.

Mit einem Mal war ich mir ganz sicher, dass dies Alles eine Aufforderung des Schmetterlings war, für sein Leben zu kämpfen, wie es der Sterbende in der Geschichte getan hatte. Also schloss ich die Augen und versuchte es.

„Du willst es wagen?“

Ich hab’s mir aufgetragen.
Meister, ja, ich will es wagen!

„Nun muss ich erst erfragen
– ein Testen, sozusagen -,
ob du bereit bist, zuzuschlagen.“

Ich bin bereit, ein letztes Mal.
Ob physisch oder emotional.

„Dies Gered‘ klingt nicht fatal,
dann kämpf‘ er mal, dann kämpf‘ er mal!“

Wie ein Ritter fühl‘ ich mich
und gut geschlagen hast du dich.
Doch ich gewinn‘ und geh‘ im Sieg,
vorbei ist er, der leidige Krieg.

Als ich – nassgeschwitzt vor Aufregung – die Augen wieder aufschlug, wurde mir schlagartig bewusst, dass irgendetwas nicht stimmte. Normalerweise hat doch alles zu stimmen, in den letzten Momenten! Geschwächt richtete ich mich auf und sah in meine Handfläche. Da lag er, der Schmetterling. Nicht mehr schön und ohne Leben. Von der Fingerkuppe gefallen wie ein Tropfen schwarzen Pechs. Die Augen zur sirrenden Lampe gerichtet. Ich war einem unseligen Irrtum unterlegen. So ist es gekommen, dass wir es beide versucht hatten.

Flieg, Schmetterling, flieg,
ich hab den Tod besiegt.

Das wäre eigentlich gewesen, was er zu sagen gehabt hätte.

Bild: LiquidSunnyDay/deviantART

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