Der es endlich anspricht?

Die hitzige Diskussion um den Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin ist nun schon lang am Laufen. Und abgeschlossen scheint das Ganze auch: Für seine als rechtsradikal, rassistisch oder gar „Göring, Goebbels und Hitler alle Ehre“ machend (Zentralrat der Juden) bezeichneten Äußerungen wurde dem SPD-Mitglied die Zuständigkeit für das Bargeld entzogen. Zudem hatte man den Verdacht auf Volksverhetzung überprüft.

Doch was waren das eigentlich genau für Äußerungen – und wie schlimm waren deren letztendlichen Aussagen? Was man so in der aktuellen Ausgabe des deutschen „Lettre International“ lesen kann, in dem unter dem Titel „Berlin auf der Couch“ zahlreiche bekannte Figuren zur Stadt interviewt wurden:

„Eine große Zahl an Arabern und Türken in dieser Stadt, deren Anzahl durch falsche Politik zugenommen hat, hat keine produktive Funktion, außer für den Obst- und Gemüsehandel, und es wird sich vermutlich auch keine Perspektive entwickeln. Das gilt auch für einen Teil der deutschen Unterschicht, die einmal in den subventionierten Betrieben Spulen gedreht oder Zigarettenmaschinen bedient hat. Diese Jobs gibt es nicht mehr. Berlin hat wirtschaftlich ein Problem mit der Größe der vorhandenen Bevölkerung.“

In den Medien hat man alles nach „Gemüsehandel“ weggelassen. Sicherlich ist die bis dahin gemachte Aussage recht fragwürdig formuliert („deren Anzahl durch falsche Politik zugenommen hat“), aber Sarrazin spricht auch die deutsche Bevölkerung an, was aus dem Ganzen vielmehr ein Bild von der sogenannten Unterschicht als eine Tirade gegen Ausländer macht. Weiter heißt es:

„(…) Berlin wird niemals von den Berlinern gerettet werden können. Wir haben ein schlechtes Schulsystem, das nicht besser werden wird. (…) Es gibt auch das Problem, dass vierzig Prozent aller Geburten in der Unterschicht stattfinden. Hier werden Trends verstärkt sichtbar, die ganz Deutschland belasten, sodass das Niveau an den Schulen kontinuierlich sinkt, anstatt zu steigen. In Berlin gibt es stärker als anderswo das Problem einer am normalen Wirtschaftskreislauf nicht teilnehmenden Unterschicht.“

Wieder eine Charakterisierung der „Unterschicht“, die in den Augen des vermeintlichen Volksverhetzers das große Problem für Deutschland darstellt – schon immer eines seiner Lieblingsthemen, wie er schon mit dem Hartz IV-Speiseplan bewies. Nächstens spricht Sarrazin über Integrationspolitik, wie man es seitens der SPD gewohnt ist:

„Benachteiligte aus bildungsfernen Schichten, davon hat Berlin besonders viele. Es gibt auch keine Methode, diese Leute vernünftig einzubeziehen. Es findet eine fortwährende negative Auslese statt. Das ist für die Stadtpolitik von Bedeutung. (…) Unsere Bildungspopulation wird von Generation zu Generation dümmer. Der Intellekt, den Berlin braucht, muss also importiert werden, und er wird auch importiert werden, wie im New York der fünfziger Jahre, als es Harlem mit seiner zunehmenden Hoffnungslosigkeit auf der einen Seite gab und das Leben in Midtown und um den Central Park auf der anderen Seite.“

Wenn Thilo Sarrazin über die ausländische Bevölkerung in Deutschland spricht – und genau das ist der Punkt, über den sich die Medien derart aufgeregt haben -, dann wird es schon etwas anders:

„(…) Die Vietnamesen: Die Eltern können kaum Deutsch, verkaufen Zigaretten oder haben einen Kiosk. Die Vietnamesen der zweiten Generation haben dann durchweg bessere Schulnoten und höhere Abiturientenquoten als die Deutschen. Die Osteuropäer, Ukrainer, Weißrussen, Polen, Russen weisen tendenziell dasselbe Ergebnis auf. Sie sind integrationswillig, passen sich schnell an und haben überdurchschnittliche akademische Erfolge. Die Deutschrussen haben große Probleme in der ersten, teilweise auch der zweiten Generation, danach läuft es wie am Schnürchen, weil sie noch eine altdeutsche Arbeitsauffassung haben.“

Wo ist das Problem an dieser Ansicht? Mag sein, dass man dem nicht gänzlich zustimmt – aber Ausländerfeindlichkeit kann ich bis hierher nicht finden, vielmehr eine realistische Betrachtung der Situation, schlicht des Status Quo.

„Absolut abfallend sind die türkische Gruppe und die Araber. Auch in der dritten Generation haben sehr viele keine vernünftigen Deutschkenntnisse, viele gar keinen Schulabschluss, und nur ein kleiner Teil schafft es bis zum Abitur. Jeder, der integriert werden soll, muss aber durch unser System hindurch. Er muss zunächst Deutsch lernen. Die Kinder müssen Abitur machen. Dann findet die Integration von alleine statt. (…) Große Teile sind weder integrationswillig noch integrationsfähig. Die Lösung dieses Problems kann nur heißen: Kein Zuzug mehr (…).“

Diesen Punkt halte ich für etwas beschränkt eingeschätzt – es ist ja durchaus möglich, dass es in Berlin so aussieht (und darüber will ich als Hamburger nicht urteilen), aber mir sind einige türkischstämmige Gymnasiasten und Abiturienten bekannt. Besonders der Schlusssatz ist extrem schlecht ausgedrückt. Es ist einer, wie man ihn von ganz rechts kennt, da muss ich den (obwohl in der Unterzahl; in der Zementblog-Umfrage zeigt sich die Leserschaft geteilter Meinung) vielen Kritikern Recht geben. Und die Rechtsextremen von der NPD verkünden dann auch:

„Auch wenn wir Nationalisten mit Sicherheit keine Freunde von Thilo Sarrazin sind – seine oft gegen das eigene Volk gerichteten Tiraden bleiben uns in ewiger Erinnerung – so muss man ihm doch Respekt zollen für seine ehrlichen und der Wahrheit sehr nahe kommenden Worte hinsichtlich der Überfremdungsproblematik deutscher Großstädte.“

Da sind die Aussagen des Bundesbankers, für die er sich mittlerweile auch entschuldigte („Nicht jede Formulierung gelungen“, Frankfurter Rundschau), doch ein Problem. Eine Anregung zur heißen Debatte, ja, aber zeitgleich sehr zwiespältig formuliert, sodass man nicht so recht weiß: Ist Sarrazin nun ausländerfeindlich gesinnt oder weiß er sich lediglich nicht ordentlich zu artikulieren? Wie dem auch sei, in jedem Fall hat man noch viel mehr Empörendes hören können, das nun wirklich über seine Grenzen schlägt:

„Die Türken erobern Deutschland genauso, wie die Kosovaren das Kosovo erobert haben: Durch eine höhere Geburtenrate. Das würde mir gefallen, wenn es osteuropäische Juden wären mit einem um 15 Prozent höheren Intelligenzquotienten als dem der deutschen Bevölkerung. Ich habe dazu keine Lust bei Bevölkerungsgruppen, die ihre Bringschuld zur Integration nicht akzeptieren, und auch, weil es extrem viel Geld kostet und wir in den nächsten Jahrzehnten genügend andere große Herausforderungen zu bewältigen haben.“

Das ist pures faschistoides Gerede! Hier wird ganz klar von einer „kostspieligen Eroberung durch die Dümmeren“ gesprochen, das geht eindeutig einen Schritt zu weit. Im Weiteren spricht der SPD-Politiker von dem „kleinen Volk“ der Deutschen, welches in seinem Umfang immer weiter schrumpfe, weil es durch die ausländische Bevölkerung überrannt würde. Man müsse „mit viel radikaleren Programmen (…) forciert integrieren“.

„Der Neuköllner Bürgermeister Buschkowsky erzählt von einer Araberfrau, die ihr sechstes Kind bekommt, weil sie durch Hartz IV damit Anspruch auf eine größere Wohnung hat. Von diesen Strukturen müssen wir uns verabschieden.“

Ja, müssen wir! Erster Schritt wäre: Abschaffung von Hartz IV, Verbesserung der Lebensumstände für jeden Teil der Bevölkerung. Danach ginge es dem Kapitalismus an den Kragen, aber das will ein Bundesbankvorstand natürlich nicht. Dieser fährt stattdessen lieber fort, die Problematik ausschließlich und in stark pauschalisierter Form auf die Migranten, insbesondere die aus der Türkei, zu schieben:

„Integration ist eine Leistung dessen, der sich integriert. Jemanden, der nichts tut, muss ich auch nicht anerkennen. Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert. Das gilt für siebzig Prozent der türkischen und für neunzig Prozent der arabischen Bevölkerung in Berlin. Viele von ihnen wollen keine Integration, sondern ihren Stiefel leben. Zudem pflegen sie eine Mentalität, die als gesamtstaatliche Mentalität aggressiv und atavistisch ist.“

Jetzt ist auch noch die Rede von den aggressiven Primitivlingen, den Unterentwickelten. Diese Ausdrucksweise ist selbstverständlich ebenso zu kritisieren, aber das, was der Herr Sarrazin da meint, ist vielleicht gar nicht so unvernünftig: Es ist meiner Vermutung nach nämlich die Rede von all den mit Messern bewaffneten „Gangsters“, die durch die Viertel ziehen und sich gegenseitig angreifen, um zu beweisen, wer der Stärkere (respektive „Coolere“) ist. Und das ist wirklich atavistisch. Es handelt sich bei diesen Personen tatsächlich oft um türkische Migranten zweiter oder dritter Generation, deren Bildungsweg kläglich gescheitert ist und die von muslimischen Ideologien wie etwa dem Unsinn der „Ehre des Mannes“ beeinflusst sind. Problem an konservativ-religiös Erzogenen sind aber keineswegs Herkunft oder Erbliches, sondern ihre Eltern, die sie in die Moschee schicken und an den Allmächtigen glauben lassen. Wieso kommt mir das bekannt vor? Weil Deutschland rein zufällig ein christliches Land ist. Ich will nicht behaupten, dass die Kirche mit der Strenge des Islam vergleichbar ist, aber jede Kultur hat ihren Schwachsinn.

Sarrazin behauptet allen Ernstes, dass Integration Sache des zu Integrierenden ist (siehe oben). Das ist falsch und schlichtweg eine Ausrede, Entschuldigung für schlechte Integrationspolitik getreu dem Motto: „Wir müssen uns nicht auch noch darum bemühen, das ist Sache der Migranten.“ Denkfehler dabei ist jedoch, dass man die Dinge nicht einfach ihrem Lauf überlassen kann, sondern helfen, eingreifen, aktiv werden muss, wenn es nicht klappt.

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5 Kommentare

  1. Michaela
    Oktober 16

    „Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt…“

    Wenn ich diese Aussage so lese, muss ich wieder an einen Bericht denken, den ich irgendwann einmal im Fernsehen gesehen habe: Ein junger Türke, 19, der in Deutschland zur Schule gegangen ist und jetzt eine Ausbildung macht. Sein Deutsch ist nicht überragend, aber immerhin verständlich. Und was ist sein großes Ziel?
    Er möchte, sobald er seine Ausbildung beendet hat, in die Türkei, weil es ihm in Deutschland nicht gefällt. Die Frauen sind ihm hier zu freizügig und emanzipiert, die Gesellschaft gefällt ihm nicht, am liebsten wäre er schon jetzt in der Türkei.

    Das mag ein Einzelfall sein, doch es ist ein gutes Beispiel dafür, dass man Sarrazins Aussagen doch mal überdenken sollte, anstatt sie gleich als rechtsextrem abzutun. Zumal er nichts gegen diese Menschen sagt, weil sie aus anderen Ländern nach Deutschland kommen, sondern weil sie nicht den Wunsch haben hier zu leben, oder überhaupt integriert zu werden.

    Und es geht ja auch nicht grundsätzlich darum, dass in Deutschland immer weniger Deutsche leben (was ja bei den heutigen Geburtenraten kein Wunder ist), sondern dass das Volk verdummt.

    Deswegen finde ich seine Aussagen zwar falsch formuliert und auch ein wenig fraglich, aber keineswegs so rechtsextrem, wie sie jetzt beschimpft werden.

  2. Oktober 17

    Ganz richtig; anstatt über die inhaltliche Aussage des Bundesbankvorstands nachzudenken, schreit man lieber sofort „Rechtsextremist!“.

  3. Oktober 19

    Ein guter und sehr differenzierter Artikel zu Sarrazins Aussagen. Es gibt keinen Zweifel darüber, dass Herr Sarrazin sich in einigen Bereichen im Ton vergriffen hat und in anderen Bereichen wiederum Lob aus allen Lagern zugesprochen bekommt.

    Wer aber gab ihm überhaupt die Gelegenheit zu diesen Aussagen? Ist es nicht die mangelnde Sozial- und Bildungspolitik der 60er bis heute, die eine Integration der angesprochenen Türken und Araber schlicht unmöglich machte? Dass Russen, Polen und andere Osteuropäer aufgrund ihrer äußerlichen Erscheinung schlicht im Vorteil gegenüber Südeuropäern waren und den Repressalien der Ausgrenzung erst gar nicht ausgesetzt waren, wird von Sarrazin leider übersehen.

    Ein Blick in Günter Wallraffs „Ganz unten“ ist ein Lehrstück über die Integrationswilligkeit der Deutschen sowie Türken. Da verwundert mich auch nicht das Ergebnis der Jugendlichen, die entwurzelt nirgends zu Hause sind und einen verzweifelten Kampf um Anerkennung kämpfen. Wenn auch mit falschen Mitteln…

    Gruß,
    Stefan

  4. Maitol Krczstovczc
    Oktober 20

    „(…) Man muss davon ausgehen, dass menschliche Begabung zu einem Teil sozial bedingt ist, zu einem anderen Teil jedoch erblich. Der Weg, den wir gehen, führt dazu, dass der Anteil der intelligenten Leistungsträger aus demographischen Gründen kontinuierlich fällt (…).“

    Selbiges steht auch in diesem Interview – dies kommt für mich nun schon sehr nahe an Rassismus.

  5. Oktober 20

    Da hast du wohl Recht. Auf diesen Teil bin ich nicht eingegangen, weil dieser Gedanke einfach zu – ich sage es frei heraus – dumm ist, als dass man tiefer darauf eingehen könnte, ohne selbst möglicherweise auf rassistisches Glatteis zu geraten. Sarrazin hat gewiss derartige Neigungen, aber eben trotz alledem nicht ganz Unrecht mit manch anderer Kritik.

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