Verlorene Kindheit

JubiläumDas kleine Mädchen in der knallgelben Regenjacke und den blauen Gummistiefeln sah verschmitzt zu seiner Mutter hoch und sprang anschließend genüsslich in die große Pfütze vor sich. Ein von Glück erfüllter Moment.

Heute geht das einstmals kleine Mädchen in die fünfte Klasse. Dort aber muss es feststellen: Die gelbe Jacke und die blauen Stiefel sind gänzlich fehl am Platz! Also nichts wie los zu H & M und C & A, um die neuesten, angesagtesten und vor allen Dingen erwachsensten Kleider zu besorgen. Einen trendy Hut, eine sexy Röhrenjeans, ein stylishes Top und ein weißes Handtäschchen aus Lederimitat – dazu große, runde Ohrringe. Schon kann sich das kleine Mädchen, pardon, die junge Frau wieder vor die Tür und unter die Leute trauen.

Von diesem Zwang sind die neuen Generationen der Heranwachsenden zunehmend betroffen. Es steckt der kapitalistische Gedanke einer Mode-Strategie dahinter, die erfolgreich versucht, ein Kleidungsstück für alle Altersgruppen schneidern zu lassen. Ob groß, ob klein, eine Stange soll reichen. Das führt zu gesellschaftlichen Irrläufen wie dem des erwachsenen Kindes – dabei ist jene Kindheit, die da schwindet, etwas, was die meisten Menschen im Nachhinein doch sehr zu schätzen wissen. Die Erwachsenen beneiden die Kleinen um die unbeschwerte Leichtigkeit des Kindseins. Und wer will das nicht, noch einmal Kind sein? Ein Leben jenseits der Schubladen, Komplikationen, Abhängigkeiten und Lasten ist doch etwas Wunderbares.

Doch der Schrecken um der sogenannten „Coolness“ Willen nimmt seinen unaufhaltsamen Lauf. In Katalogen sieht man Kindermodelle in den Klamotten der 16-jährigen. Das Signal an „die Kleinen“ leuchtet unübersehbar: „Sucht euch Idole unter den Großen und zieht euch an wie sie, um wer zu sein!“

Es sind aber nicht nur Dreikäsehochs, die sich in diesem Phänomen verlieren, selbst einige Erwachsene müssen auf einmal mit dem Trend der modernen Jugend gehen. Alles zentriert sich auf die Mitte, jeder will mitlaufen. Besonders schade ist es aber um die Kinder mit ihren unschuldigen, freien, jungen Jahren. Leider wachsen immer mehr derart auf, weil sie mitmachen müssen bei dem, was die Klassenkameraden treiben.

Erleben wir bald kein kindliches Sein mehr? Wird das einstige Kind irgendwann noch in den Massenzwang geschoben, bevor es eins gewesen sein und eine zufriedene Kindheit erlebt haben kann? Werden nur noch die vom allgemeinen Medienchaos verschonten „Landeier“ halbwegs „normal“ aufwachsen? Sicher, dieser Komplex greift vor Allem das Stadtleben an, das Zentrum der medialen Einflüsse, den Konsummittelpunkt. Da schreit ein Plakat hier, ein Werbefilm da: „Kauf, was dich erwachsen macht!“ Ein wahrer Schrecken.

Das kleine Girlie in dem abgefahrenen Top und den verdammt coolen Stiefeln sah zu seiner Mom hoch und fragte: „Erwartest du ernsthaft, ich spring in die Pfütze? Das ist derbe Kinderkacke, ja? Denk mal nicht. Da mach ich mir doch die neue Markenhose dreckig.“

Dieser Artikel erschien auch in der
aktuellen Ausgabe der Schülerzeitung des
Gymnasiums Bornbrook in Hamburg.

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6 Kommentare

  1. Dezember 15

    Interessantes Thema, das Du da anschneidest…
    Ich hab mich in meiner Schulzeit nie in ein Schema pressen lassen. Und dafür wurde ich auch die ganze Schulzeit hindurch gemobbt…
    Aber doch bin ich mir selber treu geblieben…
    Heute sehen viele Jugendliche gleich aus. Tragen die selbe Frisur und den gleichen Kleidungsstil.
    Wo ist dann noch das Individuum, das in jedem Menschen stecken sollte?

  2. spill
    Dezember 15

    Genau.

    PinkStinks – die sehen das ähnlich, ey.

  3. Yuvi
    Dezember 16

    So ist es, wenn ich mir in meiner ehemaligen Schule die Fünftklässler anschaue. Nicht nur Kleidung für Erwachsene, dazu auch noch zentimeterdick Schminke auftragen und bloß nicht kindisch wirken.
    Wenn ich da an früher denke, wo auf dem Hof noch fangen gespielt wurde…

    Ich muss mich da aber Ilona anschließen, ich war nie angepasst und wurde dafür auch bis zum Ende gemobbt.
    Aber man kann diesem Trend wohl schwer entgegenwirken… Ich für meinen Teil drehe das Ganze dann um und springe ungeachtet meines Alters und ohne mich an der Meinung anderer zu stören, genüsslich in die Pfütze.

  4. Dezember 16

    Ilona und Yuvi – ich muss euch zustimmen. Ihr habt etwas erlebt, wovon auch ich sprechen kann: Will man der Masse entgegenwirken, ist und bleibt man außerhalb. Vielleicht ist das auch gut so – nur dann nicht, wenn man deshalb angegriffen wird. Solange man sich aber aus dem Strom heraushalten oder ihm sogar entgegenschwimmen kann, zeigt das Stärke. Die wird zwar währenddessen noch nicht erkannt oder gelobt, später aber hat man seinen Vorteil davon. Ganz sicher.

  5. spill
    Dezember 17

    Ich habe mal fast geheult und wollte nicht in die Schule gehen weil die Jeans auf Schuhebene nicht größer als der Schuh waren, so im Babyalter.
    Weil alle so etwas trugen, das musste so sein.

    Heute, mit Schuhgröße 48, werde ich mitleidig spöttisch, also wenn die Hammelherde werbetechnisch auf ein neues Konsumfeld getrieben wird. Naja, solche Mental-Babyphasen macht wohl jeder durch mal, ist natürlich. Da lasse ich Milde walten.

    Wenn aber „Erwachsene“ genauso hammelherdenhaft agieren… ist verachtender Zynismus durchaus angebracht. Plötzlich haben fast alle CK- beziehungsweise Davidoof-Parfüm. Oder jeder liest natürlich das angesagteste Büchlein, was gerade super besprochen wurde in diversen Medien.

    Diese Markenfixierung der Kiddies macht schon Sorgen, da spielt der Markenaufdruck eine Rolle („Abercrombie & Fitch“ f.e.), und sei es ein noch so qualitativ minderwertiges Produkt. Von Handys ganz zu schweigen…

    Im Prinzip kann man zwei verschiedene „Gattungen“ unterscheiden (ich weiß das, bisschen Kohle mit Hammelherden gemacht). Die Hammelherde. Die „schwarzen Schafe“. Wer ein weißes Herdenschaf sein will – bitteschön…

    Mein Gott – das fängt bei McDonald’s an und hört bei den typischen Kinobesuchern noch nicht auf…

  6. Dezember 18

    Was soll ich mit Schuhgröße 49/50 schon sagen?

    Ein anderes Problem: Die schwarzen Schafe bilden immer auch ihre eigene Herde. Und da ist das weiße Schaf dann plötzlich der Außenseiter – und so weiter… ein Phänomen, über das demnächst noch ein ausführlicherer Artikel von mir erscheinen wird; ist in Arbeit.

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