„Total legitim“

Das tote Tier am Straßenrand, der Feuilleton und das Internet

Was diese drei Dinge gemeinsam haben? Plötzlich vieles. Ein verreckendes Tier am Rande einer viel befahrenen Straße nennt man im amerikanischen Slang „Roadkill“. Der Titel des Debütromans der 17jährigen Theatertochter Helene Hegemann lautet „Axolotl Roadkill“ – der Axolotl ist ein mexikanischer Schwanzlurch, der nicht erwachsen wird und immerzu einer Kaulquappe gleicht. Es geht in dem Buch um ein Mädchen im zarten Alter von 16 Jahren, das ein knallhartes Erwachsenwerden in Berlin durchmacht – Sex, Drogen, Schmerzen. In einer sehr konstruierten Sprache, die wie gespielte Intellektualität wirkt und keineswegs wie tiefgründige Poesie, beschreibt Hegemann das lotterige Szeneleben detailreich und mit interessanten Einfällen.

Die Presse lobte das Werk zunächst einseitig, wohl weil man sich verpflichtet fühlte, eine so junge Autorin mindestens für ihre frühliterarische Leistung zu loben. Außerdem war diese bereits zuvor durch außergewöhnliche Leistungen aufgefallen: Sie hat einen Film gedreht, ein Theaterstück geschrieben und Hörspiele entwickelt. Nicht zuletzt wird erwähnt, dass sie die Tochter von Carl Hegemann ist, einem bekannten Theaterschaffenden und Publizisten. So ist Tochter Helene schon früh mit der Welt der Künstler und Theater in Berührung gekommen. Grund genug, von einem „Phänomen“ (Georg Diez, Süddeutsche Zeitung), von „treffenden Beobachtungen“ und „überraschenden Gedanken“ (Tobias Rapp, Der Spiegel), ja von einem „Kugelblitz in Prosaform und Prosasprache“ (Ursula März, Die Zeit) zu sprechen. Fleißig wird durchgängig positiv rezensiert, eifrig lobt man das Wunderkind und Fräuleinwunder. Insgesamt und überhaupt sei dieser „große Coming-of-age-Roman der Nullerjahre“ (Mara Delius, FAZ) eine wunderbare, faszinierende, großartige, erstaunliche, unvergleichliche und atemberaubende Glanzleistung.

Nun zur Rolle des Internets in diesem Spektakel. Deef Pirmasens, Betreiber des Blogs „Gefühlskonserve„, ist in dem Buch auf mehrere Auffälligkeiten gestoßen, die ihn auf Anhieb stutzig gemacht haben: Ganz besondere Wortkonstruktionen wie „Vaselintitten“ oder „Technoplastizität“ kamen ihm seltsam vertraut vor – und zwar aus dem Buch „Strobo“ vom Berliner Blogger Airen. Als er genauer nachsah und die beiden Texte Wort für Wort verglich, entdeckte er sogar gänzlich kopierte, nur leicht abgeänderte Textpasssagen in „Axolotl Roadkill“, die ihren Ursprung in „Strobo“ hatten. Die Autorin reagierte auf den Plagiatsvorwurf mit einer Stellungnahme und der Nennung von Airen in der Danksagung, deren abgeänderte Version nun in der zweiten Auflage auftaucht. In der Stellungnahme heißt es unter anderem:

„Ich [finde] mein Verhalten und meine Arbeitsweise (…) total legitim und mache mir keinen Vorwurf, was vielleicht daran liegt, dass ich aus einem Bereich komme, in dem man auch an das Schreiben von einem Roman eher regiemäßig drangeht, sich also überall bedient, wo man Inspiration findet.“

Natürlich ist es legitim, sich von anderen Autoren inspirieren zu lassen. Das tun sicher die meisten Schriftsteller, schließlich wird man von dem, was man liest, nicht unerheblich geprägt. Aber stellenweise zu zitieren, ohne die Abschnitte als Zitate kenntlich zu machen oder auf die Quelle hinzuweisen, ist sicher nicht „total legitim“. Natürlich kann das einem Jungautoren passieren, nicht aber einem Verlagslektorat. Die „Digitalbohème“ scheitert an dem Punkt, an dem sie das Internet als Buffet versteht, an dem man sich nach Laune bedienen kann, ohne dabei über irgendwelche Konsequenzen nachzudenken. Mara Delius von der FAZ schreibt abschließend, sozusagen als Krönung des Ganzen, über die Vorgehensweise Helene Hegemanns: „All das, was schon hundertmal gedacht, gesagt, getan und getragen wurde, hat sie aufgesogen, gebündelt und in etwas ganz Neues, Unerhörtes verwandelt.“

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4 Kommentare

  1. Februar 10

    Ich muss gestehen: ich hatte von diesem Buch bislang noch nichts gehört. Bislang heißt eigentlich „bis gestern“, als ich nämlich einen Artikel drüber las.

    Da ich davon ausgehe, dass du nicht einfach bei einem anderen Blogger abgeschrieben hast, muss ich sagen, dein Bericht über dieses achso tolle Buch ist klasse.

    Erstaunlich, wie scheinbar unbedarft da mit dem geistigem Eigentum anderer Leute umgegangen wird. Eine kleine Quellenangabe ab der 2. Auflage halte ich persönlich für kaum angemessen, wie du ja auch ganz richtig schreibst.

    Inspiration geht anders…

  2. Februar 10

    Danke für das Lob. Ich halte die Änderung in der zweiten Auflage auch für unverhältnismäßig. Auch finde ich unangebracht, dass Hegemann die Falschheit ihres Verhaltens in der Stellungnahme nicht einmal einsieht, sondern sich stattdessen zu verteidigen versucht.

  3. Februar 14

    Strobo soll glaube ich neu aufgelegt werden – wenn das stimmt, werde ich es mir kaufen.

    Zu Axolotl Roadkill: ich habe das Buch nicht gelesen und ich werde es auch nicht lesen. Die Ausschnitte, die ich davon bisher vorgesetzt bekommen habe, erinnern mich alle an eine zwanghafte Intellektualität und davon halte ich nichts.

    Zum Theater-Gen: Das trage ich doppelt in mir, der Presse scheint das aber wurscht zu sein und da ich „nur“ ein Blog und kein großartiges Buch schreibe, kann man mich deshalb vermutlich getrost ignorieren. Nur: das finde ich klasse! Ich will nicht irgendwo oben anfangen, weil meine Eltern sind wer sie sind, sondern ich will mich selbst zu dem machen, was ich später mal werde. Möglichkeit 1 scheint auf den ersten Blick zwar sehr verlockend, aber ich glaube im Nachhinein würde ich mich dann fühlen wie jemand, der absolut gar nichts erreicht hat. Ich glaube nicht, dass Fräulein Hegemann das nicht auch schaffen wird – sie hat den Elternbonus, aber ihr Buch hat sie bis auf einige Stellen selbst geschrieben. Im Gegensatz zu anderen Kindern mit bekannten Eltern hat sie also zumindest schonmal selbst etwas gemacht, auch wen ihr Vorgehen dabei mehr als zweifelhaft ist.

  4. Februar 14

    Hegemann hat einen interessanten Film vorgelegt, von dem sich manch einer eine Scheibe abschneiden kann. Für ihr Alter hat sie schon viel erreicht, auf das sie ruhig stolz sein kann. Sie hat zwar eine problematische Arbeitsweise beim Schreiben ihres Romans an den Tag gelegt, die man ihr aber auch verzeihen kann. Mein Fall ist ihr Schreibstil ganz bestimmt nicht, aber das muss jeder selbst entscheiden. Der Verlag hat inzwischen zugesagt, eine ausführlichere Quellenangabe in die nächste Auflage zu bringen und mit dem Verlag von „Strobo“ Kontakt wegen der Weiterverwendungserlaubnis aufgenommen. Das kommt alles natürlich viel zu spät, aber Airen selbst hat im Interview mit der FAZ erklärt, damit wäre die Sache für ihn in Ordnung.

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