Die kleinen Brüder

Morgen erscheint der Jugendroman „Little Brother“ in deutscher Übersetzung. Es handelt sich um ein in der US-amerikanischen Presse hochgelobtes Werk des kanadischen Journalisten, Bloggers und Autoren Cory Doctorow, der unter anderem aktives Mitglied der Electronic Frontiers Foundation (EFF) ist, einer Organisation zur Verteidigung der Rechte in der digitalen Welt.

Es geht um den 17-jährigen Marcus Yallow, der in San Francisco Zeuge eines Terroranschlags auf die Bay Bridge wird. Infolge dessen wird die Stadt des politischen Aktivismus zum von der Heimatschutzbehörde (Department of Homeland Security, DHS) rigoros überwachten Polizeistaat. Da Marcus mit seinen Freunden – hier taucht das Blytonsche Jugendbanden-Muster auf – im unmittelbaren Umfeld des Anschlags ein sogenanntes Alternate Reality Game (ARG, eine Mischung aus Computerspiel und Detektivspiel an der frischen Luft) gespielt hat, wird er vom DHS verdächtigt. Die Freunde und er werden festgenommen und mehrere Tage erniedrigenden Befragungen auf Treasure Island, dem „Guantánamo-in-der-Bay“, ausgesetzt.

Marcus beschließt, sich mit der totalen Überwachung (Kameras in Klassenräumen, RFID-Chips) nicht zufrieden zu geben und installiert auf seiner Xbox „ParanoidLinux„, ein abgesichertes Betriebssystem, um unbeobachtet online zu gehen. Er verteilt das System an alle Freunde, die es wiederum auch weiterreichen. So entsteht ein riesiges Netzwerk aus jungen Leuten, die sich nicht so einfach überwachen lassen wollen – genannt „Xnet“. Doch schon bald schleusen sich Beauftragte des DHS in das Netz, sodass Marcus ein „Web of Trust“ gründet, also ein Netzwerk im Netzwerk, das nur aus denjenigen besteht, denen er hundertprozentig vertrauen kann.

Der Held der Geschichte, bekannt als „m1k3y“ (sprich: Mikey), steigt zur anonymen Ikone einer gigantischen Widerstandsbewegung der „Little Brothers“ – die Überwacher des Überwachers – macht erste Erfahrungen mit der Liebe und stürzt sich von einem in den nächsten Konflikt. Das große Finale ist spannend bis zum letzten Buchstaben, sodass man auf gar keinen Fall gewillt ist, das Buch aus der Hand zu legen.

Was allerdings störend auffällt, ist der holprige Schreibstil des Autoren. Sätze wie „Der Kerl hat echt den Schuss“ wirken wie unbeholfene Wortwitze, die zwar altersgerecht, aber nicht gerade angenehm zu lesen sind. Ebenso nervt das typisch amerikanische, an den Leser gerichtete „du“, auf das der Übersetzer getrost hätte verzichten können. Auch fallen immer wieder Firmen- und Markennamen, was nicht ganz in die dystopische Fiktion des Romans passt – es wird auch kein Halt vor Schleichwerbung für die EFF und die Piratenpartei gemacht. Zudem scheint Doctorow den Drang zu haben, dem Leser alle drei Seiten etwas neues beizubringen. Der Protagonist Marcus macht häufig kurze Stopps, um einen Fachbegriff zu erklären. Das bremst den sonst so fesselnd gehaltenen Plot erheblich aus und langweilt den Leser manches mal. Andererseits gibt das doch einen recht interessanten, informativen Einblick in die Welt der Hacker und Gamer, der jedoch leider an seiner Gestaltung scheitert.

Little Brother“ zeigt uns, wie wenig weit wir vom Überwachungsstaat entfernt sind. Es hat ihn bereits mehrmals gegeben, gibt ihn teils heute noch und wird ihn auch immer wieder geben – wie viel größer die Bedrohung durch einen auf dem technologischen Fortschritt aufbauenden Überwachungsstaat ist, zeigt Cory Doctorow sehr deutlich und mit einer eindeutigen politischen Botschaft: Wir müssen vorsichtig sein und dafür kämpfen, dass es nicht so weit kommt. Nach Doctorow ist die aus dem weltweiten War on Terror entstehende Paranoia das Hauptproblem, welches wir hierzulande etwa an den Vorschlägen Wolfgang Schäubles sehen können.

Das Buch zieht viele Parallelen zu aktuellen Zuständen und Ereignissen, so auch zu den Situationen in China und Syrien. Auch findet man immer wieder Bezüge zu Orwells „1984“, in dem erstmals der Begriff des „Big Brother“ auftauchte. Jenen Roman scheint sich der Autor, das merkt man stellenweise, zum Vorbild genommen zu haben. Zu schätzen ist insgesamt, dass Doctorow ein politisch sowohl spannendes als auch schwer relevantes Thema als Jugendbuch verpackt hat und somit die verträumte Internet-Generation politisiert. „Little Brother“ ist nämlich keinesfalls als bloßer Action-Thriller zu lesen.

Cory Doctorow: „Little Brother„; Rowohlt, 01.03.2010; ISBN 978-3-49921-550-6.

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