Wo es vorgefallen war

Sie betrachtete ihren Schatten. Den ganzen Tag schon. Betrachtete, wie sich seine Größe veränderte, wie er zum Mittag schrumpfte und abends wuchs. Saß da und beobachtete ihren Schatten und den der Bäume, sonst geschah nichts.

Worauf wartest du?, wollte er dann wissen. Wir möchten jetzt heimfahren.
Heim?, dachte sie, heim? Hier bin ich heim. Hier ist alles passiert. Es ist derselbe Wind, der zärtlich das Gesicht streichelt, dieselbe Sonne, die sich nicht blicken lässt und dieselben Wolken sind es, die still und ruhig über den Himmel ziehen.
Ich komme nicht mit.
Wieso kommst du nicht mit? Du kannst doch nicht hier bleiben.
Ich brauche noch Zeit.

Er ging und kam nicht wieder. Es dämmerte und sie ging ins Haus. Dort kam ihr alles wieder ins Herz und in den Kopf. Sie sah aufs neue, was geschehen war, und es war ein unerträglicher Anblick. Alles war weiß, inmitten dieser blendend grellen Helligkeit ein rosa, regloser Fleck. Ohne Schatten.
Bitte gehen Sie. Es wird das Beste für Sie sein, wenn Sie sich jetzt davon lösen. Glauben Sie mir.

Sie schaute auf die Uhr, die an der kahlen Wand hing. Der Sekundenzeiger zuckte auf der Stelle, wie ein sterbendes Insekt, die Zeit war stehen geblieben und regte sich doch. Tack, tack. Unterhalb der Uhr stand ein kleiner Tisch an der Wand, daneben ein Stuhl. Sie setzte sich. Ihr gegenüber hing ein Bild an der Wand, es hing schief, das war falsch, und schlecht war es, so rückte das Motiv selbst in den Hintergrund und verblasste.

Ich kann es nicht erkennen, das Motiv, dachte sie. Nicht dieses und auch jenes habe ich nicht erkannt. Hier sah sie nur dunkle Flecken, rote Flecken, blaue Linien. Alles voll Schatten. Die Wirkung des Bildes war durch die leuchtend weiße Umgebung sehr verstärkt und intensiviert worden.

Bitte. Lassen Sie los – nun gehen Sie schon heim.
Und sie ging, stand auf und ging, löste sich, mit all den Bildern im Kopf, von den Schatten, dem Wind, der Sonne, den Wolken, der Uhr mit ihrem Zeiger, löste sich von dem grellen Licht, dem rosa Fleck und allem. Die Situation brachte zu viel der Eindrücke, zu viel des Nachdenkens, sie musste jetzt gehen und dachte daran, dass die Uhr ihr nicht sagen konnte, wann sie gegangen sein würde.

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Ein Kommentar

  1. stacey marinco
    August 15

    mal eine geschichte von dir die ich gut finde !

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