Querpresse: In Sachen Sarrazin

Weil das Gras grün ist, ist alles, was grün ist, Gras!
Oder: Wieder was zur Sarrazin-Debatte

Kein Blatt vorm Mund, dafür vor den Augen: Stammtisch- und Salonrassist Sarrazin.

Die BILD-Zeitung spekuliert mit vollem Einsatz über die Wahrscheinlichkeit einer Sarrazin-Partei, der Name „Sarrazin“ erweist sich als optimaler Kandidat zum Unwort des Jahres und das nationalistische Statistikgefummel „Deutschland schafft sich ab“ klettert unentwegt die sogenannten Bestseller-Listen hoch. Kurzum: Die Debatte ist in vollem Gange, der Zirkus Sarrazin ist der reinste Verkaufsschlager.

Der Stammtisch kommt plötzlich zu Erleuchtung, mit einem mal heißt es in der Springerpresse ganz überrascht: „Hat die Politik Fehler gemacht, Frau Merkel?“ (Bild.de) – offensichtlich ja, denn sie hat einem Sozialdarwinisten Gehör verschafft.

Doch die Presse zieht blitzartig alle Register, jeder versucht, die beste Story herauszuarbeiten und die neuesten, spektakulärsten Erkenntnisse in der Angelegenheit zu präsentieren. Sogar Broder darf sich Sarrazins Thesen weitestgehend anschließen, wieder „ganz provokativ zu Wort“ und zu dem Schluss kommen, „dass eine Demokratie nicht von richtigen, sondern von falschen Meinungen lebt“ (HNA online). Das exzessive Medienspektakel habe auch etwas Positives, denn „falsche Meinungen […] provozieren immer eine Debatte“.

Jede Talkshow lädt ihn ein, überall taucht sein Buch auf, an jeder Straßenecke spricht man vom „diskriminierten Unzufriedenen“. Freie Meinungsäußerung, ja bitte! Aber wie oft muss man eigentlich noch zwischen Meinung und Hetze unterscheiden? Sarrazins Methode erinnert an längst veraltetes Propagandisten-Handwerkszeug:

  • das Interpretieren von Statistiken
    • weil die Türken hierzulande statistisch weniger erreichen als die Deutschen (!), sind alle Türken dümmer als Deutsche – logisch, oder? Unwichtig, dass in Deutschland einfach weniger höhergebildete Türken leben könnten als in der Türkei. Immerhin geht doch nichts über einen beherzten Umkehrschluss: Weil das Gras grün ist, ist alles, was grün ist, automatisch auch Gras.
  • das Prognostizieren zur Darstellung einer Bedrohung
    • wenn alles so weitergeht wie bisher, müssten in 100 Jahren mehr Moslems als Deutsche in Deutschland leben. Klar, der Lauf der Dinge definiert sich durch Stillstand und wir sollten grundsätzlich mehr Angst vor der kommenden „Überfremdung“ haben, schließlich ist das eine ernstzunehmende Sache. Lasst uns eine 30er-Retro-Party feiern (oder gründen).
  • das Selektieren der Bevölkerung nach Abstammung
    • nicht nach Ethnie, sondern nach Kultur! Das muss der gute Herr Sarrazin betont haben, irgendwie muss man sich ja rausreden.

Sie finden diese Argumentationstaktik cool? Das ist sie auch: kühl, oberflächlich und, wie Merkel – sprachlich ausgefeilt wie immer – es nannte, „nicht hilfreich“.

Mehr zum Thema auch im Artikel „Der es endlich anspricht?

Bild: Nina / Wikimedia Commons (CC-BY-SA 3.0)

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5 Kommentare

  1. Marti
    September 5

    Der Kommunikationswissenschaftler Hans Mathias Kepplinger sagt:

    “Hinter der Sarrazin-Debatte steht folgendes: Im Kern geht es um das Selbstwertgefühl der linksliberalen Minderheit der Bevölkerung, die lange an die Idee der multikulturellen Gesellschaft geglaubt hat. Sie steht, wenn man die Probleme des Landes mit seinen Muslimen ernst nimmt, vor den Trümmern ihres Weltbildes, das sie gegen einen informierten Kritiker verteidigt.”

  2. September 5

    Ich hatte hier mal irgendwann ein altes Buch über Demagogie herumliegen. Habe damals ein bisschen daran herumgelesen und ich glaube, Herr Sarrazin hat das auch bei sich zuhause stehen.

    Der Kampf der Springerpresse für Meinungsfreiheit ist absurd. Sarrazin genießt selbstverständlich Meinungsfreiheit, sonst würde er für das, was er sagt, bestraft werden. Wird er jedoch nicht, sein Arbeitgeber zieht nur Konsequenzen daraus. Und das ist vollkommen legitim.

  3. September 6

    Springers Plädoyer für Meinungsfreiheit ist ebenso Kulisse vom „Zirkus Sarrazin“, wie die Jungle World das Medienspektakel so schön nannte, wie die gesamte Diskussion, die der Sozialdemokratdarwinist ins Rollen brachte. Und dann hervorzuheben, dass sich ein Tabuthema endlich auch im Mainstream durchgesetzt habe, ist lächerlich.

  4. frequentlywronganswers
    September 12

    Ich weiß nicht, was ein „Kommunikationswissenschaftler“ ist oder tut, aber der Beitrag des Herrn Hans Mathias Kepplinger zum Thema Integration von Migranten in Deutschland zeigt, mit welchem Unsinn man hierzulande noch Geld verdienen kann. Ich bin links, doch gewiss linkshändig, aber liberal? Wer mein Freund oder angenehmer Gesprächspartner ist, entscheide ich nicht entlang der Frage wo er, sie oder die Eltern herkommen, sondern danach, ob mit der betreffenden Person überhaupt ein sinniges Wort zu wechseln ist. Das ist, wie ich schon häufig erlebt habe, mit relativ wenigen Menschen der Fall. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß religiöse oder religiös geprägte Menschen, vor allem „die vom Land“, mir meistens nicht folgen können. Sind es dazu Menschen, die die deutsche Sprache noch schlechter können als ich, wird es unmöglich mit ihnen zu kommunizieren. Aber nach Lektüre der Sarrazin-Werke kann ich nicht feststellen, es hier mit einem informierten Kritiker zu tun zu haben. Es gibt keine multikulturelle Gesellschaft zu verteidigen. Die deutsche Gesellschaft ist kulturell kaum von der amerikanischen zu unterscheiden, es wird deutlich mehr Coca-Cola getrunken als Apfelsaft und wesentlich mehr Döner als Sauerkraut gegessen. Und die Konsumenten dieser Scheiße kommen aus zig Ländern, mitunter aus der Türkei. Es ist alles nur eine Frage der Zeit, bis sich die „Kulturen“ bis zum verwechseln ähnlich sehen. So etwa dürfte es auch bei der Religionsausübung vor sich gehen. Sarrazins Enkelkinder können vielleicht ungenutzt leerstehende Moscheen als schicke Immobilie erwerben. Und an Orhans Enkelkinder als Loft vermieten. Für die Tempel der Christen gibt es dafür schon Beispiele aus der Gegenwart.

  5. Agathe
    Oktober 20

    Mal eine gute Nachricht:
    Thilo Sarrazin unterstützt türkischen Fußballverein!
    Hier: YouTube

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