„Dem Staat grundsätzlich misstrauen“

2011 soll die erste Volkszählung in Deutschland seit 24 Jahren stattfinden – so schreibt es die EU vor. Der Bundestag hat die Vorgaben im vergangenen Jahr mit dem Zensusgesetz erweitert. Dabei wird unter anderem gegen das Volkszählungsurteil von 1983 verstoßen . Der Arbeitskreis Zensus 2011 (AK Zensus), hervorgegangen aus dem Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (AK Vorrat), hat gemeinsam mit anderen Vereinen und im Rahmen einer Kampagne gegen den geplanten Zensus nach einer Unterschriftenaktion eine Verfassungsbeschwerde eingereicht, die im vergangenen Monat abgelehnt wurde.

Ute Elisabeth Gabelmann
Ute Elisabeth Gabelmann.

Ute Elisabeth Gabelmann ist Mitglied der Piratenpartei in Leipzig und aktiv im AK Zensus 2011. Sie sprach mit dem Zementblog über die Details der Datenerhebung, den möglichen Protest und warum dieser bisher so schwach ausgefallen ist.

Zementblog: Frau Gabelmann, ist der Zensus Ihrer Auffassung nach generell abzulehnen oder aber in modifizierter Form akzeptabel?

Gabelmann: Die Durchführung einer Volkszählung ist generell abzulehnen. Die Erhebung von sta­tistischen Werten in anonymer und freiwilliger Form ist natürlich davon ausgenommen. Leider hat die Volkszählung aber nichts mit Freiwilligkeit oder Anonymität zu tun.

Das Statistische Bundesamt hat eine Website aufgesetzt, die verschiedene Argumente für den Zensus auf­führt. Dort wird allerdings nicht ganz klar, welche konkreten Daten erfasst werden.

Letztlich werden wir erst wissen, welche Daten direkt erfasst werden sollen, wenn die Fragebögen direkt vorliegen. Nach dem zu urteilen, was bisher an die Öffentlichkeit drang, sind die Fragen in ih­rer Gesamtheit sehr persönlich und lassen klare Rückschlüsse auf jeden Einzelnen zu. Welche Daten dann noch aus diversen Quellen gezogen werden, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Zwar gibt es dazu Angaben der Bundesregierung, aber nachprüfen kann niemand, ob nicht noch von wo­anders Daten kommen. Die hauptsächlichen Quellen sollen die Meldeämter und die Bundesagentur für Arbeit sowie das Finanzamt sein.
Die Bundesregierung hat den Vorteil, über ein nicht näher definiertes Budget für PR-Maßnahmen zu verfügen. Daher natürlich auch diese Website. Dort geht es vor allem darum, das Argument zu festi­gen, dass die Volkszählung für die Zukunftsplanung notwendig ist. Leider wird tatsächlich nicht klar, wie weit die Datenerfassung geht. Dies ist möglicherweise auch eine Taktik, damit das Argu­ment gut greift.

Aber greift es nicht gerade dadurch weniger? Schließlich wird kaum ersichtlich, warum Otto Nor­malverbraucher überhaupt teilnehmen sollte. Er wird sich fragen: Was habe ich davon?

„Faktisch hat man keine Chance, sich legal zu entziehen.“

Das ist eben das Problem: die Leute können sich ja nicht entscheiden, ob sie „teilnehmen“ oder nicht. Letztlich passieren die meisten Datenerhebungen und -auswertungen ohne das Wissen der Be­troffenen. Die restlichen Daten kommen von Menschen, die sich dagegen nicht wehren können, weil es eben ein gesetzlicher Zwang ist, seine Daten offenzulegen. Insofern kann man sagen, dass es dem Gesetzgeber letztlich egal ist, ob die Menschen in diesem Land dafür Verständnis haben.
Die hohen Bußgeldandrohungen werden bei vielen Leuten, die betroffen sind, für genug Einschüch­terung sorgen. Bis zu 5.000 Euro, um genau zu sein. Allein die Zahl wirkt gerade in heutigen wirt­schaftlichen Zeiten abschreckend genug. Dasselbe Bußgeld droht auch allen Haus- oder Wohnungs­besitzern, die zusätzlich zu der 10-Prozent-Stichprobe noch befragt werden sollen. Ebenfalls strafbar sind Falschangaben. Faktisch hat man also keine Chance, sich legal zu entziehen.

Ist bekannt, wie lange die Daten gespeichert werden, wer darauf Zugriff hat und wofür sie weiter­verwendet werden?

„Im Grunde hat jeder Zugriff auf die Daten.“

Nicht konkret. Die Daten werden bis zu vier Jahre gespeichert, und zwar rückverfolgbar, da sie an die sogenannte Ordnungsnummer gekoppelt bleiben. Diese Nummer sorgt dafür, jeden Datensatz ei­ner bestimmten Person zuordnen zu können. Nur durch diese Ordnungsnummer lässt sich für die Ämter zurückverfolgen, wer seinen Erfassungsbogen nicht ausfüllt, nicht zurücksendet oder falsche Angaben macht.
Zugriff auf die Daten hat im Grunde jeder, denn bereits bei der Suche nach Erfassungsbeauftragten sind die Ämter nicht wählerisch. Volkszähler kann jeder sein, der das 18. Lebensjahr vollendet hat. Im Prinzip kann also jeder losgehen und mittels der Erhebungsbögen das Leben seiner Nachbarn re­konstruieren.

An welchen Stellen kritisieren Sie das Zensusgesetz?

Wir kritisieren, dass die Erhebung nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes entspricht. Die Daten sind nicht anonym. Zudem entspricht eine zwangsweise Erhebung nicht dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Auch ist es grundlegend falsch, Daten zu verwenden, die aus völlig anderen Zusammenhängen stammen, ursprünglich also zu anderen Zwecken erfragt wurden. Das gilt besonders für die Daten aus den Meldeämtern.

Also steckt hinter dem Zensus 2011 mehr als nur eine statistische Arbeit, zumal die Daten ja perso­nenbezogen sind.

Es ist eine Vermutung, aber man kann vermuten: ja. Die Bundesregierung hat den von der EU vor­gelegten Datenabfragen ohne ersichtlichen Grund noch einige weitere hinzugefügt. Man muss sich fragen, was es den Staat interessiert, zu welchem Gott seine Bürger beten. Das nur als Beispiel.

1983 bewirkte der Protest gegen den geplanten Zensus das Volkszählungsurteil des Bundesverfas­sungsgerichtes. Dadurch fand die Datenerhebung erst vier Jahre später in überarbeiteter Form statt. Ist das ein Ziel, auf das der AK Zensus und die anderen Beschwerdeführer hinarbeiten?

Wir streben an, dass die Volkszählung unter den derzeitigen Bedingungen nicht stattfindet. Wenn der Gesetzgeber ein anderes Konzept vorlegen würde, würden wir uns das natürlich ansehen und prüfen.

Wie könnte ein akzeptables Konzept denn aussehen?

Ich persönlich kann mir durchaus vorstellen, an einer freiwilligen und anonymen Volkszählung teil­zunehmen. Erhebungsbeauftragte könnten sich vor Supermärkte stellen und ihre Fragen loswerden. Wie andere Gegner des Zensus dazu stehen, weiß ich nicht. Vor allem kommt für mich nur eine Kürzung der Fragebögen in Betracht. Nach dem, was bisher durchgesickert ist, sind ein geschätztes Drittel der Fragen selbst in anonymer Form für mich zu privat.

Für wie realistisch halten Sie einen Boykott der Volkszählung, wie er 1983 schon Wirkung zeigte?

Das halte ich durchaus für realistisch. Es kommt hier – wie immer – auf die Information und damit das Sensibilisieren der Öffentlichkeit an. Da die Volkszählung diesmal anders und zwar verdeckter abläuft, ist es für uns Aktivisten schwieriger geworden, zu zeigen, dass tatsächlich jeder betroffen ist.

Ist auch eine Informationskampagne Teil der Öffentlichkeitsarbeit des AK Zensus?

Natürlich. In allererster Linie ist Aufklärung notwendig. Nur ein informierter Mensch kann entschei­den. Wir haben nichts gegen Menschen, die sich freiwillig dafür entscheiden würden, an einer Volkszählung teilzunehmen. Wir erwarten aber, dass der Staat seinen Bürgern so viel Respekt ent­gegenbringt, dass er jeden Einzelnen selbst entscheiden lässt, ob die Argumente für eine Volkszäh­lung so gut sind, dass man teilnehmen möchte. Im Moment ist die Öffentlichkeitsarbeit der Bundes­regierung jedoch keine Information, sondern nur PR und Marketing.

Ist die Informationslage über die geplante Datenerhebung einfach zu schlecht – oder sind soziale Netzwerke wie Facebook Schuld an der heutigen Haltung gegenüber der Volkszählung?

„Der Zensus findet in Presse und Fernsehen einfach nicht statt.“

Bei Facebook stellen die Mitglieder ihre Daten zu völlig anderen Zwecken ins Internet. Dass soziale Netzwerke einen Einfluss darauf haben, wie die Mehrheit den Zensus sieht, bezweifle ich. Sicher wird dort mit Daten sehr nachlässig um sich geworfen, jedoch ist die Zielgruppe eine ziemlich jun­ge. Auch sind die Jüngeren viel politisierter als man denkt. Man sieht es ja an so vielen Gruppen, die sich via Facebook oder ähnlichem organisieren oder Kurznachrichten twittern. Auch an der Wel­le der Empörung, die das Netzsperren-Gesetz hervorrief, sieht man, dass junge Leute keineswegs unpolitisch sind. Die Mehrheit in diesem Land ist aber älter. Das sind auch diejenigen, die sich noch an die letzte Volkszählung erinnern müssten. Daher vermute ich eher, dass die fehlende mediale Aufbereitung des Themas der Grund ist. Der Zensus findet in Presse und Fernsehen einfach nicht statt. Und wenn doch, dann nur als Randthema und mit den von der Regie­rung gewünschten begrün­denden Argumenten.

Selbst die kleineren politischen Zeitungen, etwa aus dem linken Spektrum, scheinen das bereits im vergangenen Jahr beschlossene Zensusgesetz kaum wahrgenommen zu haben. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Ich glaube, es liegt an einer Kette von Dingen. Zuerst einmal ist es kein populäres Thema, was sich „einfach“ aufbereiten ließe. Es ist sperrig und schwer vermittelbar. Zudem sieht man auf den ersten Blick keine unmittelbaren Gefahren oder negative Auswirkungen. Statistik kennt man, da wird man oft was gefragt – da fragt sich der Bürger natürlich, was daran nun gefährlich sein soll. Außerdem ist die Verabschiedung des Gesetzes ja keine „große Sache“ gewesen. Von den meisten Gesetzesände­rungen bekommt man schließlich kaum etwas mit.

Wenn man den Protest der 80er Jahre und den Protest heute vergleicht, so kommt die Frage auf: Warum fällt er jetzt so schwach aus?

Weil Datenschutzverletzungen heutzutage fast an der Tagesordnung sind. Man ist öffentlicher.

Ist Datenschutz ein politisches Randthema geworden?

„StreetView stoppt an meiner Haustür, während die Regierung gerade in meine Privatsphäre eindringt.“

Ich hoffe nicht. Allerdings kann man vermuten, dass das vordergründige Engagement der Politik für bestimmte Datenschutzthemen nur dazu dient, zu verstecken, dass oftmals durch die Hintertür Ge­genteiliges verabschiedet wird. Als Beispiel kann man da StreetView nehmen. Laut vielen Politikern ist StreetView ja eine mittlere Katastrophe im Datenschutz, die da über uns hereinbricht. StreetView stoppt aber an meiner Haustür, während die Bundesregierung gerade damit beschäftigt ist, in meine Privatsphäre einzudringen.
Google hat allerdings keinen ausführenden Apparat hinter sich, der mich zwingt, mich zu of­fenbaren. Der Staat dagegen schon. Da liegt der grundlegende Unterschied zwischen Datenschutz­problemen beim Staat und in der freien Wirtschaft. Deswegen ist immer das erste Argument des Staates, dass ja alle Maßnahmen nur dem Schutz, der Sicherheit und dem Wohlergehen dienen.

Und somit im Interesse aller Bürger sind, was natürlich Unsinn ist. Aber hängen nicht auch oder ge­rade hier Staat und Wirtschaft zusammen? Sind die beim Zensus erfassten Daten nicht geradezu op­timal für den Markt verwertbar?

„Als Bürger sollte man seinem Staat grundsätzlich misstrauen.“

Das ist durchaus der Fall. Da auch Meldeämter ganz legal Adressen an alle Interessierte verkaufen dürfen, liegt die Vermutung nahe, dass auch die Daten des Zensus nicht sicher sind. Nachprüfbar ist das nicht. Und als Bürger sollte man seinem Staat grundsätzlich misstrauen. Darauf beruht die De­mokratie. Sonst merkt man ja nicht, wenn etwas schief läuft. Der Unterschied zwischen Staat und Wirtschaft sollte aber sein, dass der Staat sich dem Allgemeinwohl verpflichtet hat. Ein Unterneh­men hat das nicht. Das legitimiert natürlich niemals Datenschutzverstöße, jedoch wiegen die des Staates dafür umso schwerer.

Wie bewerten Sie die Chancen für den Arbeitskreis Zensus, öffentlich und juristisch etwas gegen den Zensus 2011 zu bewirken? Wird das Thema den Mainstream erreichen oder wird es hingenommen werden? Wie sehen Sie die Zukunft?

Obwohl uns die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde natürlich wirklich getroffen hat, gibt uns das jetzt die Chance, unsere Kräfte zu anderen Maßnahmen zu bündeln. Bis zum Stichtag werden wir all unsere Mühe dafür aufwenden, die Öffentlichkeit aufzuklären. Wir prüfen auch, inwieweit wir juristische Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft haben. Wir laden natürlich auch besonders juristische Fachkräfte ein, uns zu helfen. Viele von uns sind Laien und gerade Fachverstand wird ge­braucht – denn das Thema muss stärker ins Bewusstsein. Dazu brauchen wir jede helfende Hand.

Vielen Dank für das interessante Gespräch, Frau Gabelmann.

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