Bekehrtes böses Braun

Tony Kayes „American History X“ beleuchtet die US-amerikanische Neonazi-Szene anhand eines Mordfalls: Der rechtsradikale Skinhead Derek, so beginnt der Film, ermordet zwei Afroamerikaner, die sein Auto stehlen wollten. Daraufhin erhält er eine dreijährige Haftstrafe wegen Totschlags. Während er im Gefängnis sitzt, avanciert er innerhalb der Szene zur Legende und wird als Held gefeiert. Derweil nimmt Dereks jüngerer Bruder Danny immer Eigenschaften seines großen Bruders an. Danny hat nach dem Tod des Vaters in Derek sein neues Vorbild gefunden, sich ebenfalls die Haare kurzgeschoren und denselben Hitler-Fetisch entwickelt. Schließlich macht sich der afroamerikanische Schulleiter Sweeney erhebliche Sorgen, als Danny in einem Aufsatz mit dem Titel „My Mein Kampf“ seine Weltsicht zum Ausdruck bringt.

Ebendieser Schulleiter hat den inhaftierten Derek regelmäßig im Gefängnis besucht und ihn dazu gebracht, seine Situation zu reflektieren und aus der Verhaftung eine Lektion zu lernen. Zunächst reagiert Derek mit Ablehnung, er sei von seiner Ideologie überzeugt, da sie ihm eine Antwort auf seine Fragen zur Gesellschaft gebe. Sweeney erklärt, er müsse die richtigen Fragen stellen, etwa: „Hat sich durch das, was du tust, dein Leben gebessert?“ Da bricht Dereks Weltbild plötzlich zusammen. Nach und nach macht er weitere entscheidende Erfahrungen im Gefängnis, sodass er schließlich geläutert herauskommt und als braver Bub krampfhaft versucht, die zerrüttete Familiensituation zu harmonisieren.

Dazu muss er das gestörte Verhältnis zu seiner Mutter wieder aufbauen, aus der hierarchischen Neonazi-Szene aussteigen und außerdem seinen kleinen Bruder davon abbringen, sich weiter im braunen Sumpf hochzuarbeiten. Das klappt auch alles hervorragend: Die Mutter empfängt den verlorenen Sohn mit offenen Armen, dem ideologischen Führer der rassistischen Skinheads gibt Derek ein paar aufs Maul. Beim Bruder Danny ist es zwar nicht ganz so leicht, doch Derek wird zum Philosophen und erklärt kurzerhand: „Hass ist Ballast. Das Leben ist zu kurz dafür, dass man immer nur wütend ist. Das ist es einfach nicht wert.“ Schon ist Danny bekehrt.

Der Film glänzt dort, wo sich das Drehbuch weniger einmischt: Der Verwandlungskünstler Edward Norton, für Georg Seeßlen das „Chamäleon der Generation X“, spielt die Hauptrolle des stereotypen Neonazis so ganz und gar nicht stereotyp. Er stellt einen vielschichtigen Charakter mit mehreren Gesichtern dar: Mal ist Norton der muskelbepackte Schlägertyp, mal der nette Typ von nebenan. Und obwohl die Personenkonstellation dies überhaupt nicht vermuten lässt, erregt der mörderische Neonazi stellenweise sogar Mitleid. Eine solche darstellerische Leistung wirkt authentisch und nicht allzu konstruiert. Davon kann beim erzählerischen Aufbau der Geschichte leider nicht die Rede sein, wirkt sie doch geradezu märchenhaft, wenn der böse Neonazi nur gehörig wachgerüttelt werden muss, um zu Verstand zu kommen.

Es ist dem Regisseur allerdings weitgehend gelungen, nicht nur die soziale Struktur, sondern auch den ideologischen Hintergrund der radikalen Rechten zu klären. Dies wird maßgeblich über das Argument des sozialen Einflusses geleistet – dabei spielt vor allem das Konstrukt der Vorbildrolle in Erziehung herangezogen. Der Vater der beiden Brüder wird in Rückblenden als tendenziell rassistisch und im Privaten sehr dominant gezeigt. Derek bewundert ihn und nähert sich so faschistoidem Gedankengut an.
Nach seiner Wiederkehr aus der Haftanstalt fügt er sich in die Rolle des Vaters ein, der die Familie als Entschädigung zurück ins Glück führen will. Der Regisseur stellt das Böse hier als zwingend hergeleitet, also durch soziale Einflüsse bedingt dar, indem er das konventionelle Familienbild – den American Way of Life – vollständig dekonstruiert. Zugleich greift Derek in einer Szene ebendiese These an: Verbrechen seien nicht gesellschaftlich erklärbar oder zu entschuldigen, sondern einzig und allein auf die Herkunft zurückzuführen.

Leider fügen sich im Handlungsverlauf des Films die genannten Aspekte – die Organisationsstruktur der Neonazis, die sozialen Einflüsse und die ideologische Stütze – nicht fließend zusammen. Die eine oder andere Szene hinterlässt manchmal den Eindruck einer dramaturgisch schlecht verpackten Aussage. Und wenn man meint, dem zahlungskräftigen Publikum zu viel des Inhalts zuzumuten, lässt man einfach das Wort „Nigger“ fallen – spätestens dann kann man wieder mit der vollen Aufmerksamkeit aller Zuschauer rechnen.
Rainer Leurs (Filmszene.de) meint, dass sich „American History X“ nicht als leichte Aufklärungskost eigne, da er „zu viel eigenes Nachdenken und Vorwissen“ voraussetze. Es sei außerdem brisant, wenn „gewisse rechte Phrasen … unreflektiert im Raum stehen“ gelassen werden. Angesichts der mehrheitlich auf Stammtischniveau zurückgeschraubten Gesellschaft kann ich dem leider nur zustimmen.

„American History X“ ist ohne Frage ein beeindruckender Film. Er vermittelt einen spannenden Blick in die US-amerikanische Neonazi-Szene – hat leider aber neben Edward Norton kaum mehr schauspielerisches Talent zu bieten. Auch das Drehbuch überzeugt nur stellenweise. Lediglich der Schluss überrascht den Zuschauer, spannende Wendepunkte gibt es vorher nicht. Die Katharsis Dereks lässt sich überdies schon zu Beginn vorausahnen. In diesem Bereich hätte der Film also mehr leisten können, allerdings machen seine thematische Besonderheit und die inhaltliche Stärke dies im Gesamteindruck wieder wett.

Was jedoch störend auffällt, ist die Rolle der demokratischen Mitte im Film. Diese tritt etwa in der Rolle des Rektors Sweeney, aber auch durch Derek selbst auf und gibt scheinbar die Ansicht des Regisseurs wieder: Die Kritik an Neonazis wird im wesentlichen als Kritik am sogenannten Extremismus im Allgemeinen formuliert. In dieser oberflächlichen Form ließe sie sich auch auf die linke Bewegung projizieren. Denn wenn Sweeney fragt, ob sich durch das politisch motivierte Verbrechen Dereks sein Leben geändert habe, dann stellt er auch ganz grundsätzlich den Sinn politischer Aktivität infrage. Und zieht sich Derek schließlich in ein bürgerliches Leben in Frieden zurück, so erscheint dies als Lösungsvorschlag. Kurz vor Ende zitiert der kleine Danny Abraham Lincoln mit den bekannten Worten: „Wir dürfen keine Feinde sein“, und reduziert damit die gesamte Aussage des Films auf liberales Gerede. Zwar sollte die Grundlage politischen Strebens sicherlich Menschenliebe und nicht Menschenhass sein. Doch Blauäugigkeit ist nicht die Medizin der Gesellschaft.

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