Berufsorientierung

Der österreichische Dokumentarfilm „We Feed The World“ von Erwin Wagenhofer wirft einen kritischen Blick auf die Lebensmittelindustrie mitsamt aller Massenproduktion und der einhergehenden Rationalisierung. Zwischen jedem Abschnitt meldet sich Jean Ziegler mit erhobenem Zeigefinger zu Wort, nennt ein paar schlaue Zahlen aus den großen Statistiken und verfügt über jegliche moralische Urteilskraft. Der Zuschauer bekommt schnell den Eindruck: Das ist ein kluger Mann, der Ziegler. Gleichzeitig handelt es sich aber um eine Kapitalismuskritik, die oberflächlicher kaum sein könnte. Immer ist von „denen da oben“ die Rede, immer ist „der Fortschritt“ das Problem.

Es scheint sich mehr um einen neuen Sturm und Drang, eine neue Aufklärung zu handeln, die sich da ihre Bahnen bricht (oder längst gebrochen hat). Die Arbeiter und Bauern – sofern Wagenhofer mit ihnen gesprochen und dann die Kamera vor ihr Gesicht gehalten hat – fürchten sich vor der abstumpfenden Industrialisierung, als habe sie erst gestern begonnen. So ist die kritische Aussage des Films doch allzu verkürzt, zumal sie von einer neuen Entwicklung spricht und damit ein gesellschaftliches, ökonomisches, aber auch politisch-rechtliches Fundament vollständig ausblendet. Das Problem ist also nicht die Wirtschaftsform, sondern der Mensch da oben.

Eindrucksvoll und teils sogar bereichernd ist der Film dennoch. Er zeigt mit geschickter Kamera den Konsumterror von der anderen Seite der Bühne und lässt diejenigen Menschen zu Wort kommen, die unmittelbar betroffen sind. Während wir abertausenden von Küken auf Fließbändern zugucken, sinniert etwa der Geflügelzüchter Hannes Schulz:

„Die Menschen werden weltfremder und brutaler und härter. … Warum das so ist? Weil es da oben keine Leute mehr gibt, die sich von unten nach oben gearbeitet haben. Nichts gegen Universitätsabgänger. Aber das sind Leute, die zur Schule gegangen sind und studiert haben. Und dann kommen sie von der Uni als Magister und Doktor und haben eigentlich zur Basis überhaupt keine Beziehung. Sie sehen die Landwirtschaft so wie die meisten, wie es einem halt in der Werbung und von früher vorgegaukelt wird. Eigentlich ohne Realitätsbezug.

An sich interessiert den Handel nur der Preis.“

So schlicht und spät diese Erkenntnis auch kommt, sie ist immerhin greifbar. In der Schule machen wir gerade eine sogenannte „Berufsorientierungswoche“ – und werden im Prinzip auf nichts vorbereitet, das in irgendeiner Weise mit Menschen zu tun hat. Dabei erzählt uns ein Versicherungsangestellter, jeder Job hätte etwas mit Menschen zu tun. Ob wir nun im Büro säßen oder durch die Gegend reisten, das sei am Ende gleich. Mag ja sein – trotzdem werden wir auf Karriere, auf die Rolle des Unternehmers, nicht des Arbeiters vorbereitet. Und dann wollen wir mehr Gewinn erzielen, jonglieren also nur mit Zahlen. Das ist ein schönes Spiel. Wir mögen Spiele. Uns geht es gut.

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