„I’m Not Your F**king Princess“ bald im Kino
Kann ein autobiographischer Film über Kindesmissbrauch frei von voreiliger Wertung sein? Die französische Schauspielerin Eva Ionesco, die selbst im Kindesalter Foto-Aktmodell ihrer Mutter war, hat es in ihrem Regiedebüt gewagt, ihre Erfahrung filmisch umzusetzen. Ohne jeden moralischen Anspruch zeigt sie ein gestörtes Mutter-Kind-Verhältnis so, dass wir als unvoreingenommene Beobachter, nicht aber Voyeurs zuschauen dürfen. Die zehnjährige Hauptdarstellerin Anamaria Vartolomei erscheint deshalb auch nicht als „kleine Prinzessin“, was angesichts der Lebensgeschichte der Regisseurin vielleicht zu befürchten war.
Im Paris der 70er Jahre versucht die exzentrische Mutter Hannah, sich als Fotografin um jeden Preis aus ihren prekären Lebensverhältnissen zu retten. Die instabilen Beziehungen zu ihrem Gönner, ihrer Großmutter und schließlich zu ihrer Tochter offenbaren ihre neurotischen Züge; das Zwanghafte steht ihr ins Gesicht geschrieben.
Hannah entwickelt ein manipulatives Nutzen-Verhältnis zu ihrer Tochter Violetta: Sie fotografiert und inszeniert sie in barocken, zuweilen kitschigen Bildern. Nach und nach entsteht eine Obsession; Hannah macht aus dem Kind eine Puppe, die selbst dann nichts sagt, als man sie auszieht.
Violetta steht zwischen zwei Welten: Auf der einen Seite ist sie beeindruckt vom berauschten Künstlertum ihrer Mutter. Auf der anderen Seite möchte sie ein ganz normales Mädchen sein, das auf dem Pausenhof mit Freunden herumalbern kann. Dieser Konflikt verschärft sich, als die Ur-Großmutter stirbt und Violetta nur noch ihre Mutter hat, die sie mehr ausbeutet als beschützt. Hannah nutzt die neue Situation aus und treibt es immer wilder, Violetta wird endgültig zur Lolita und zur Skulptur für die nächste Vernissage. Ästhetik und Selbstekel, Erotik und Kindesmissbrauch, Wohlstand und Disharmonie gehen in diesem Film Hand in Hand. Wir sehen immerhin auch eine älter werdende Violetta, die sich aus ihrer Lage zu winden versucht, den Wahnsinn ihrer Mutter endlich als solchen begreift und ihre Füße statt zum Modellstehen zum Davonlaufen benutzt.
Während Vartolomei den Eindruck kindlicher Naivität durch emotionale Intelligenz und Selbstbewusstsein zu ersetzen weiß, überzeugt Isabelle Huppert in der Rolle der Mutter durch ihre Fähigkeit zur Authentizität.
In der ersten Szene konnten wir ein braves Mädchen dabei beobachten, wie es auf der Straße spielt und auf seine Puppe aufpasst. In der letzten Szene sehen wir, wie dieses Mädchen vor seiner Mutter flieht. Dazwischen hat Ionesco mit den linearen Mitteln des Märchens eine Geschichte erzählt, die in ihrer Tiefe tatsächlich unter die Haut geht. Dazu tragen vor allem ein durchgängig düsteres Licht und der trostlose Gesichtsausdruck der tragenden Charaktere bei. Mit passend gewählten Darstellern legt Ionesco paradoxe Beziehungen und Charaktere frei, verzichtet dabei aber darauf, mahnend den Zeigefinger zu heben.
Ich bin aus dem Kino gekommen und wusste nicht, wie ich mit dieser intensiven Verfilmung umgehen sollte – sollte ich mich freuen, dass sie gelungen ist, oder sollte ich weinen, weil sie im Grunde eine Zuspitzung unserer Realität ist?
Kinostart: 27.10.2011 | Originaltitel: „My Little Princess“ | Regie: Eva Ionesco | Mit Isabelle Huppert, Anamaria Vartolomei, Georgetta Leahu u. a.
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