Hundesohn mit Raubtierzügen

Da drüben kommt so ein Typ aus der Kneipe, sturzbesoffen, wütend, aggressiv. Er packt seinen Hund und schlägt den Heimweg ein. Pausenlos pöbelt er, beschimpft die menschenleere Gasse, beendet jeden Satz mit „Fuck“. Der Hund tut sich ein bisschen schwer, mitzulaufen, da dreht der Alte sich um, flucht und tritt dem Hund in die Seite, bis er bewusstlos zusammensinkt und stirbt.
Nach diesem furchtbaren Vorspann meint man, der Film könne kaum schlimmer werden. Doch der Schauspieler Paddy Considine ist in seiner ersten Regiearbeit gnadenlos: Er schlägt dem Zuschauer in regelmäßigen Abständen mit voller Wucht ins Gesicht – und wenn man meint, es ist gut jetzt, holt er zum Tritt in die Magengrube aus.

Joseph, der Typ aus der Kneipe, ist ein Mann, dem das Leben nicht gerade gut mitgespielt hat. Seit dem Tod seiner Frau geht das meiste den Bach runter – vor allem er selbst. Sein letzter Zufluchtsort ist der Pub, in dem er viel Zeit damit verbringt, bei einem Bier und übler Laune an die Wand zu starren und die anderen Gäste zu beleidigen. Wenn ihm etwas nicht passt, steht er eben auf und klärt die Sache mit der Faust. Kurzum: Diesem Menschen möchte man aus dem Weg gehen.
Doch dann lernen wir noch einen zweiten Joseph kennen. Einen, der um seinen Hund weint, einen, den der vernachlässigte Nachbarsjunge „Kumpel“ nennt, einen, den man manchmal einfach in den Arm nehmen will. Ein ruhiger Mensch mit Tiefsinn, Gefühl und Sarkasmus.

Es löst etwas bei diesem Joseph aus, als sich eine Gruppe Jugendlicher im Pub so von ihm bedroht fühlt, dass sie vor ihm flüchtet. Kurzerhand läuft auch er davon – geradewegs poltert er in den Laden von Hannah. An diesem Punkt beginnt eine Freundschaft, die zärtlicher, fragiler und vorsichtiger kaum sein könnte.
Es macht betroffen, wenn Olivia Colman in der Rolle der erniedrigten Ehefrau Hannah, von ihrem Mann vergewaltigt, zu Joseph geht, weil sie sich bei ihm sicher fühlt. Als dieser sagt, dass sie bei ihm keineswegs sicher sei, er sei ein schlechter Mensch, umarmt sie ihn einfach und gibt ihm einen Kuss.

„Tyrannosaur“ ist aus dem Kurzfilm „Dog Altogether“ entstanden, der seine Zuschauer so beeindruckt hat, dass sie wissen wollten, wie es mit der Figur des sympathischen Schlägertypen weitergeht. Also Regisseur Considine beschlossen, mehr daraus zu machen. Der besondere Reiz habe für ihn darin bestanden, einen Charakter zu zeigen, der sich unerträglich benimmt – den man am Ende aber doch ins Herz geschlossen hat. In „Tyrannosaur“ funktioniert das – nicht zuletzt dank des Hauptdarstellers Peter Mullan, der anscheinend mühelos unausstehlich, kaputt und traurig zugleich sein kann.

Der Film ist in schmutzigen Farben gedreht, die grau zusammenfließen und doch nicht trist wirken: Statt Plattenbauromantik sehen wir Häuschen mit Vorgärten, statt Ödnis nimmt Aggressivität den Raum ein, statt Eintönigkeit gibt es auch kurze schöne Augenblicke, etwa wenn der Nachbarsjunge auftaucht. Dieses Waagehalten ist auch in der Unterschiedlichkeit der Charaktere angelegt, sodass man den Film beinahe als dokumentarisch bezeichnen könnte: Auf der einen Seite der Trinker, der viel mehr ist als das. Auf der anderen Seite die harmoniebedürftige Nächstenliebende, die ebensowenig zum Stereotypen taugt. Der Film selbst wird deshalb weder zum Trash, noch trägt er zur moralischen Katharsis bei.

Das zum Metaphorischen neigende Stück wird vielmehr zum Rätsel, was sowohl seine größte Stärke als auch größte Schwäche sein dürfte. Mehrfach taucht zum Beispiel die Figur des misshandelten Hundes auf, die immer etwas im Innern des Protagonisten wachrüttelt. Der Köter als Personifizierung des Opfers im Täter unterstreicht den Sozialterror, dem zu entfliehen nur durch eine Art Gegenterror möglich zu sein scheint. Auch ein Tyrannosaurus wie Joseph ist darum nicht weniger als der liebenswürdige Ekel.

Dieses Paradoxon ist ergreifend, es bringt aber nichts auf den Punkt. So sind Joseph und Hannah konsequenterweise isolierte Milieuautisten, von denen man nicht weiß, ob es sie in der Realität in dieser reinen Form geben könnte. Eine „Liebesgeschichte“ ist „Tyrannosaur“ insofern aber doch, als dass es nicht nur um das Bedürfnis, sondern auch die Notwendigkeit der Liebe inmitten sozialer Kälte geht.

Im Kino seit dem 13.10.2011 | Originaltitel: „Tyrannosaur“ | Regie: Paddy Considine | Mit Peter Mullan, Olivia Colman, Eddie Marsan u. a.

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