»Ich will eine Lobby für die Toten«

Im Gespräch: Regina Rosenkranz

Regina Rosenkranz, 50, leitet in Hamburg ihr Bestattungsinstitut Rosenkranz Bestattungen, mit dem sie „neue Wege“ gehen will. Zementblog.de hat mit ihr über Trauerkultur, Angst und unser Verhältnis zum Tod gesprochen.

Frau Rosenkranz, was hat in Ihnen die Idee erzeugt, unsere Trauerkultur zu verändern?

Durch eine Reihe persönlicher Erlebnisse habe ich einen Einblick bekommen, wie man es anders machen könnte und an mir selbst festgestellt, dass das wirklich ein ernstes Thema ist – man ist immer unruhig, weil man nicht genau weiß: Welche Papiere braucht man? Wie macht man das später für die Angehörigen wirklich gut? So habe ich gelernt, dass das Thema Tod immer auch ein Thema Angst ist.
Als ich dann gesehen habe, dass es auch Bestatter gab, die Angehörigen diese Angst mit Freiraum und Platz für bunte Trauerfeiern nehmen wollten, hat mich das zu eigenen Ideen inspiriert.

Was haben Sie in dieser Zeit für einen Eindruck von der deutschen Trauerkul­tur bekommen?

Das war ziemlich erschütternd. Meine Mutter war gerade verstorben und ich habe mich bei ihrer Bestattung völlig verloren gefühlt, da stand irgendwas ganz Abstraktes vor mir, aber nicht der Sarg meiner Mutter. Das hatte weniger mit dem Verlust der Mutter zu tun als damit, dass man überhaupt nicht aktiv eingebunden war, son­dern wie ein Statist vorne saß.
Als die ersten Töne des Lieblingsliedes meiner Mutter erklangen, hätte ich heulend rauslaufen können, weil man nichts mehr von diesem Lied erkannt hat. Da spielte ein bestellter Organist über irgend so einen Verband, das war ein Schock. Es war eine befremdliche Trauerfeier, so persönlich wie das Verkaufen einer Küche, wo wir uns gerade noch die Griffe aussuchen können.

Was haben wir für ein Verhältnis zum Tod und was sollten wir unter Umständen daran ändern?

Wir machen uns so viele Gedanken darüber, welche Lebensversicherung, welche Hausratsversicherung die richtige ist. Alle meinen, dass sie ihr Leben meistern, dass sie gut sortiert sind. Doch gerade das Thema Tod gren­zen sie in dem Moment aus und sind deshalb sehr unsortiert.
Im Sterbefall geht es um alle Themen – es geht um Rentenabmeldungen, Abmelden von Lebensversicherungen, Umschreibungen von Wohnungen. Es sind alle Lebensbereiche und alle menschlichen Bereiche betroffen. Genau die sind aber in unserer Kultur, in der wir so aufgeklärt und ganzheitlich denken wollen, immer noch am wenigsten geklärt. Das sollten wir ändern.

Was Sie dem entgegenhalten, ist dann die „andere“ Be­stattung, das „andere“ Abschiednehmen, das Unkonventionelle?

»Ich will, dass man mit allen darüber spricht.«

Nein, ich denke, dass die Tätigkeiten eines Bestatters immer gleich sind. Wir können alle behaupten, dass wir individuelle und bunte und fröh­liche Trauerfeiern machen. Der Freiraum des Bestatters jedoch liegt im Bereich der Vorsorge. Ich will, dass man früh mit Sterbenden, mit Gesunden, mit Kindern, mit allen darüber spricht: Wie stellt man sich die eigene Bestattung vor?
Jeder wird früher oder später von einem geliebten Menschen Abschied nehmen müssen. Wenn wir nun die Zeit bekommen, aktiv zu partizipieren, ob das nun das Bemalen des Sarges ist oder die Wahl der letzten Kleidung, sei es die Jogginghose oder der Hochzeitsanzug, dann ist das Trauerbewältigung – wenn wir als Angehörige diese Möglichkeit auch nutzen.

Das Thema Tod soll ein Thema sein, das im Alltag ganz normal angesprochen werden kann?

Eigentlich ist der Tod sowieso ein All­tagsthema, das uns immer begleitet. Das merken wir aber erst, wenn es zu spät ist und wir uns plötzlich hilflos und verloren fühlen. Tote im Fernsehen sind Normalität – im Leben nicht.

Welche Veränderungen im Bewusstsein der Menschen könnten dazu führen, dass das Thema Tod eine andere Rolle spielt?

»Es geht nicht mehr um den Verstorbenen, sondern um Geld.«

Der Tod führt Menschen zusammen, wie Hochzeiten oder Geburten. Die wichtigen Fragen – was wollte er denn eigentlich, wie hat sie sich die Bestattung vorgestellt? – werden trotzdem ausgegrenzt.
So werden ältere Leute, die sechzig Jahre verheiratet waren, im Todesfall von der Familie plattgedrückt mit Wünschen, Bedingungen. Es geht oft nicht mehr um den Verstorbenen, sondern um Geld, und damit entfernen wir uns vom Menschlichen.
Sich das klarzumachen, ist ein wichtiger Schritt. Der nächste sollte sein, den Tod als Teil des Lebens zu akzeptieren, ihn zu integrieren – über die Fernsehtoten hinaus.

Verlangt die Bürokratie die Null-Acht-Fünfzehn-Bestattung oder ist das Gesetz ohnehin offen für individuelle Abschiede?

Das ist das Faszinierende. Die Menschen schimpfen immer auf die deutsche Friedhofskultur, einengende Standards, Bürokratismus. Das gibt es, keine Frage – doch das Bestattungsge­setz schreibt lediglich vor, dass wir eine Urne oder einen Sarg beisetzen müssen. Wie wir Abschied nehmen und wo – das ist beinahe ausnahmslos uns überlassen. Diese verschobene Wahrnehmung ist der Wahnsinn – es darf bunt sein, es darf auch traditionell schwarz sein. Vor allem sollte es authentisch sein.

Es handelt sich also um eine Wissenslücke, die konsequenter­weise die Akzeptanz gegenüber Standards erhöht?

»Der Bestatter heute hat die Aufgabe eines Begleiters.«

Nein, ich bin mir sicher, dass wir das eigentlich wissen, aber so bequem ge­worden sind, dass wir den Bestatter anrufen und erwarten: Der regelt das schon. Später schimpfen wir vielleicht noch über seine Preise. Doch aktiv irgendetwas mitgestalten wollen viele Menschen nicht – beim Thema Trauer ist man oft auch einfach blockiert und will alles an einen Dienstleister abgeben.

Geben Sie den Tätigkeiten des Bestatters dementsprechend auch eine psy­chologische Dimension?

Das halte ich für extrem wichtig. Ich finde den Namen „Bestatter“ eigent­lich schon viel zu hart – „der setzt bei“, „der legt tiefer“, „der regelt das schon“. Den Beruf des Bestatters, inzwischen auch ein Ausbildungsberuf, hat früher der Tischler übernommen. Da ist man eher aus pragmatischen Gründen hingegangen, weil man die Kiste brauchte. Die Familie hat den Rest gestaltet. Man ist zuhause gestorben und hat zuhause Abschied genommen.
Der Bestatter heute hat in meinen Augen stattdessen vielmehr die Aufgabe eines Begleiters.

Wie erleben Sie den Umgang deutscher Bestatter mit den Anforderungen an­derer Kulturkreise?

Auch ein konventioneller Bestatter hat, wie ich annehme, grundsätzlich kein Problem mit anderen Bestattungsformen, ob nun auf der Grundlage muslimischer oder russischer Traditionen. Es ist eine Herausforderung, eine andere Kultur kennen­zulernen, die mit dem Verstorbenen und dem Thema Trauer ganz anders umgeht. Das ist sicher auch für einen Bestatter schöner als das Billige, Schnelle, Anonyme.

Wenn die Offenheit und Bereitschaft zu Alternativen bei Bestattern da ist, was ist dann das Problem? Die Bürokratie?

Nein, die Bürokratie ist selten eine Hürde, es ist sogar sehr viel zulässig. Es handelt sich um ein in der Gesellschaft verankertes Problem, gar kein Bestatterthema.
Wir Menschen stumpfen immer mehr ab und geben immer mehr ab. Wir sterben nicht mehr zuhause, wir sterben in Krankenhäusern, in Pflegehei­men, fragen nicht, wo der Tote hingeht, wo er gekühlt wird – wir klammern alle Fragen aus.
Nur so konnte es kom­men, dass in Fernsehfilmen die Asche über die Klippen gestreut wird und alle gucken hinterher und kein Mensch weiß, dass in der Urne das Aller­wenigste Asche ist, die fliegen kann. Das sind sterbliche Überreste, ein Knochengerüst, das größte Puzzle eines Menschen. Alleine durch „Asche zu Asche, Staub zu Staub“, was die Kirche immer sagt, haben wir vergessen, dass es sich wirklich um leibliche Überreste handelt.
Schon fordern wir, dass aus der Asche ein Diamant wird. Die Körperverwertung wird immer grenzwertiger. Wir fangen an, Kommerz zuzulassen, weil uns der Verstorbene gar nicht mehr interessiert – uns interessiert lediglich die Symbolik etwa des Diamanten, den wir uns umhängen, als das, was mit dem Verstorbenen und seinem Körper real passiert. Lieber fragen wir nach Blumen, Musik, Särgen, Preisen.

Sie fordern den Einsatz gegen die Diskriminierung des Todes?

Ich will eine Lobby für die Toten. Wenn die Toten sehen würden, dass sie bei dreißig Grad, ungekühlt, nach 900 Kilometern in Tschechien ankommen und ein Touristenbus vorbeifährt und sich alle mal die Billigeinäscherung angucken können, dann würden sie sagen: „Was habt ihr eigentlich mit mir gemacht?“

Was hat der Bestatter für ein Verhältnis zum Toten? Ist er für ihn ein Objekt ökonomischer Verwertung?

Ich hoffe nicht. Interessant ist, dass das dem Bestatter immer wieder unterstellt wird. Bestatter sind Betrüger, haben goldene Wasserhähne und das Geschäft läuft immer – und so weiter.
Richtig ist eher, dass wir inzwischen alle einen Ver­storbenen in erster Linie wirtschaftlich einordnen, statt zu sehen, dass da wirklich ein Mensch liegt, ein Mensch, der gelebt hat, seine Spuren hinterlassen hat und jetzt geradezu als Ware behandelt wird.
So wenige fragen: „Wo wird mein Mann jetzt hingebracht?“ Unser Verhältnis zu den Toten wird inzwischen beinahe durch eine Entsorgungsmentalität kon­stituiert. Wir verlieren den Bezug zum Körper – schon weil man sagt, die Seele wäre ja schon gegangen, „der ist ja nicht mehr hier“. Das mag einen trösten, aber der Verstorbene ist hier.
Gerade der Körper eines Verstorbenen braucht Schutz und einen liebevollen Umgang. Er ist so schutzbedürftig wie ein neugeborenes Kind.

Haben wir Angst vor der realen, körperlichen Form des Todes?

»Vor dem Sterben hat jeder von uns Angst.«

Vor dem Sterben hat jeder von uns Angst. Doch theoretisch sind wir alle dazu fähig, gut mit dem Tod umzugehen. Wir denken heute aber so sehr ans Geld, dass wir verlernt haben, mit dem Sterben umzugehen.
Warum hat man nicht in Arztpraxen, Krankenhäusern eine Vor­sorgemappe liegen, die ausgegeben werden kann, wenn ein Arzt merkt, dass sein Patient Angst vor dem Sterben hat? Als ich das vorgeschlagen habe, war die Reaktion: „Um Gottes Willen, das geht nicht, dann denken die Menschen, hier wird nur gestorben.“
Ja, wir haben Angst vor der Realität des Todes. Wir gehen nicht zum Nachbarn rüber und fra­gen, wie es ihm geht – wir finden ihn erst nach drei oder vier Wochen tot in der Wohnung.

In der Medizin ist ein Ziel, das Leben zu verlängern, Lebenschancen zu verbessern, dem Tod auszuweichen. Ist das ein impliziter Aus­druck der Angst vor dem Tod?

Der Mensch besteht aus Hoffnung. Hoffnung ist der Antrieb für Forschung, für Medizin, für Erhalt von Leben. Man kann Medizin natürlich nicht verteufeln – liegt man selbst da, hofft man und hält am Leben fest. Ich denke aber, dass wir in Bezug auf das Zulassen von Krankheit und Sterben erhebliche Schritte zu weit gegangen sind – deshalb ist es sicher auch Angst, die Hemmungen vor solchen Themen verursacht.
Doch wie geht die Psyche mit diesem Drängen auf Dauererhalt um? Eine dauerhafte Hoffnung erschöpft, überfordert und nimmt vielen Menschen die Zeit, sich in Ruhe zu verabschieden.

Entsteht stattdessen ein gewisser „Lebensleistungsdruck“?

Richtig, und der ist meines Erachtens fast schon unmenschlich geworden. Du musst. Es geht noch. Du warst gerade kurz davor, zu akzeptieren, dass du unheilbar krank bist, und dann sagt einer: „Hier gibt es was Neues.“ Und alleine das stellt den Betroffenen vor eine weitere schicksalsschwere Entscheidung. Viele verbringen dadurch ihre letzte Zeit vorwiegend im Krankenhaus statt zuhause, wo sie den Raum haben, das Leben unter Umständen auch, mit einer anderen Hoffnung, loszulassen.

Also wird die Reihe möglicher Lebenserhaltungsmaßnahmen zur Produkt­palette, die als Angebot überfordert?

»Der Verstorbene geht durch viele fremde Hände.«

Es ist absolut grenzwertig geworden. Wir sind heutzutage über­haupt nicht mehr dazu in der Lage, zu unterscheiden, an welcher Stelle uns ein Arzt oder ein Krankenhaus rein wirtschaftlich behan­delt. Der nächste Schritt ist allerdings, automatisch und logisch, der rein wirtschaftliche Umgang mit Verstorbenen. Er kommt direkt in die Kühlung und geht durch viele fremde Hände.

Kommen wir zuletzt zu einem positiven Gegenbeispiel – können Sie mir einen Fall aus Ihrer Erfahrung nennen, bei dem Sie sehen konnten, dass das Potenzial durchaus vorhanden ist, mit Verstorbenen bewusst und anders umzugehen?

Ein Fall hat mich nachhaltig davon überzeugt, dass es richtig ist, den Menschen Mut zu machen. Eine Familie, deren Mutter im Krankenhaus verstorben ist, hat uns mitten in der Nacht angerufen und gesagt: „Wir wollen unsere Mutter nach Hause holen.“ Wir haben zugesagt und sind sofort losgefahren.
Als wir im Krankenhaus angekommen sind, war das Personal dort völlig fassungslos, dass ein Bestatter mit einem An­gehörigen die Familie vertritt und wir die Verstorbene aus dem Zimmer holen wollten. Das Erste, was die Schwester sagte, war: „So was haben wir hier noch nie gehabt, die muss erst in die Kühlung!“
Doch die Mitarbeiter konnten alle erleben, wie wichtig das der Familie war. Am Ende haben wir die Ver­storbene tatsächlich nach Hause bringen können. Nach eineinhalb Tagen riefen uns die Angehörigen schließlich an: „Jetzt haben wir das Gefühl, es ist soweit, wir können jetzt Abschied nehmen.“
Im Nachhinein gab es in dem Krankenhaus eine Sitzung, in der den Ärzten erklärt worden ist, dass es durchaus möglich ist, eine Familie darüber aufzuklären, dass, sofern die Todesursache klar ist, der oder die Verstorbene aus dem Krankenhauszimmer nach Hause darf.
Ich hoffe, dass genau so etwas einfach normaler wird. Der Anfang war: „Das haben wir noch nie gemacht. Das darf nicht sein.“

Das Interview führte Jan Eijking.

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Ein Kommentar

  1. Allan Webb
    Februar 1

    Wenn ihr kirchlich heiraten wollt und der Pfarrer euch fragt “ blablabla bis dass der Tod euch scheidet“ sagt ihr wahrscheinlich „ja“. Aber wenn ihr diese Formel selber aussprechen sollt, also „Ich gelobe, dass wir zusammen bleiben bis dass der Tod uns scheidet“, würdet ihr das ohne weiteres über eure Lippen bringen? Oder hättet ihr schon Probleme damit, diesen Spruch selber auszusprechen?

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