Fragment I

Ich telefoniere mit der Freundin meiner Sekretärin, die auch für mich eine gute Freundin ist. Sie sagt, ich solle aufhören. Es habe keinen Sinn – das sagt sie mir, der ich doch längst weiß, dass alles einen Sinn haben muss und haben wird, solange man nur fieberhaft genug danach sucht. Ich schmeiße das Telefon auf den Tisch, der teilnahmslos vor mir steht und sich nicht weiter dazu äußern will. Darum schlage ich mit der flachen Hand auf den Tisch, dass es nur so klatscht, dann trete ich mit dem Fuß gegen das Tischbein, dass mein Fuß jämmerlich schmerzt und pocht. Der Tisch nimmt alles hin, ohne jede Regung. Also schiebe ich den Tisch an das Fenster meines weiträumigen Büros, das Fenster verläuft über die gesamte vordere Wand des Raumes, öffne das Fenster und schiebe den Tisch hinaus. Zwölf Sekunden dauert es, bis ich ein Krachen höre, ein elendiges Krachen, das dem Tisch den Rest gegeben haben muss. Doch ich höre gleichfalls ein lebendiges Ächzen und drei Schreie.
Der erste Schrei ist sehr hoch, sehr erschrocken, sehr abrupt.
Der zweite Schrei ist etwas tiefer, sehr verzweifelt, sehr angestrengt.
Der dritte Schrei ist kindlich, sehr laut, sehr lästig.

Ich nehme die Treppen, denn der Lift ist „zur Zeit leider defekt“, die Treppen sind aber zu viele an der Zahl. Hastig nehme ich jeweils sechs Stufen auf einmal, um wie gerädert unten, elf Stockwerke tiefer, anzukommen. Hastig nicht, weil ich etwa ebenso erschrocken gewesen wäre, ich bin kein schreckhafter Mensch. Die Erde weiß das. Hastig bloß, weil mir dieses ohrenbetäubende Schreien auf die Nerven geht. Es ist so unerträglich, dass ich befürchten muss, den Rest des Tages nicht mehr dazu in der Lage zu sein, in freien Gedankengängen meiner Arbeit nachgehen zu können. Das zu verhindern, stürze ich durch die schwere Glastür hinaus auf die Straße, wo mich bereits ein widerlicher Menschenhaufen empfängt, schreiend, rumorend, rufend. Da liegt mein Tisch, die Beine abgebrochen, die Platte entzwei. Er verdeckt einen Körper, von dem kaum etwas wahrzunehmen ist. Er wirkt wie ein Schluck Wasser auf mich: Ich spüre ihn kurz, danach wird mir kalt, doch ich habe ein Bedürfnis befriedigt.

Dieses wesentliche Bedürfnis ist es, was mich dazu treibt, nicht die Augen aufzureißen, die Hand vor den Mund zu halten und das blanke Entsetzen mit meinen Blicken zu buchstabieren, wie es der Rest der überschaubaren um das Schaubild versammelten Menge tut. Ich schreite unbemerkt zu meinem Tisch, sammle die Einzelteile auf und sage: „Entschuldigen Sie, ich stelle das nur eben an die Straße, zum Sperrmüll.“ So gehe ich beiseite und nach getanem Werk zurück in mein Büro. Dort schließe ich alle Fenster und lege mich für eine Weile auf das Sofa.

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