Mit dem Teufel Schach spielen

Rodrigo Duterte, der notorische Avantgardist im weltweiten War on Drugs, schreckte zuletzt nicht einmal davor zurück, sich mit dem Epitom seines mehr als nur augenscheinlichen Faschismus in eine Reihe zu stellen. Dem eifrigen Polemiker jegliche Arbeit abnehmend verglich er sich nun denn (in diplomatischer Vorwegnahme) mit niemand geringerem als Adolf Hitler. In Reaktion auf (gar nicht mal so) zynische Kritiker die ihn zuvor als Hitlers Cousin porträtiert hatten, lässt der Präsident der Philippinen und Hobby-Gewaltmonopolist verlauten:

„Wir haben drei Millionen Drogenabhängige in den Philippinen – es wäre mir eine Freude, sie abzuschlachten. Wenn Deutschland Hitler hatte, dann haben die Philippinen… [zeigt auf sich selbst.] Sie kennen meine Opfer. Ich hoffe es sind alles Kriminelle, sodass ich das Problem meines Landes beenden und die nächste Generation vor dem Verderben retten kann.“ (Frei übersetzt nach Reuters.)

Das klingt, logisch, verdächtig nach einem Psychopathen und Kriminellen, der obendrein auch noch überaus grausame, totalitäre, genozidale Ambitionen hat. Problem ist nur, dass wir in diesem Fall nicht einfach die Polizei rufen können, sondern es mit einem Präsidenten zu tun haben. Nichtsdestotrotz sind einige begriffliche Überlegungen angebracht. Erstens, ist es okay die Ambitionen dieses Mannes als „genozidal“ zu bezeichnen? Nicht laut der UN-Völkermordskonvention:

In dieser Konvention bedeutet Völkermord eine der folgenden Handlungen, die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören:

(a) Tötung von Mitgliedern der Gruppe;
(b) Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe;
(c) vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen;
(d) Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind;
(e) gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe.

(Wikisource)

Ich betone: „eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe“ steht im Vordergrund. Ein politisiertes soziales Konstrukt wie „Drogenabhängige“ passt also nicht in die Kategorie Genozid. Wir brauchen einen anderen Begriff mit ähnlicher Schlagweite und Sprachgewalt, denn solange etwas nicht in diese Schublade passt, wird es keinen grossen Anklang in der nächsten UN-Generalversammlung finden (noch weiter kommen als in die Herbstschlagzeilen). Also: Humanitäre Katastrophe. Damit vernachlässigen wir allerdings die beabsichtigt eliminationistische Dimension dessen was Duterte propagiert. Sozialkonstruktivistische Perspektiven können diese Begriffsproblematik deutlich informieren, sodass wir uns weg von einer Starrheit (Opferstatistiken, Zugehörigkeitsfragen, Taxonomien) hin zu einer Dynamik (instrumentell-strategische Kategorisierung, fiktiv-soziale Klassifikation) bewegen können.

Zweitens, kriminell und psychopathisch? Hier offenbaren sich gleich zwei fatale Annahmen als wirkungsfrei wenn ausserhalb ihres nicht-universellen Kontextes angewandt. Zum einen ist die Kategorie des Kriminellen immer gemessen am Gesetzesbruch, welchem der Gesetzeshüter, wie auch der Gesetzesschöpfer und also der Gesetzgeber vollständig immun gegenüber ist. Duterte ist kein Verbrecher in den Augen seiner Gesetzgebung – und das muss nicht einmal legislative, buchstäbliche Rechtstransformationen als Voraussetzung und Vorläufer haben. Der Leviathan ist das Gesetz, und seine Taten sind rechtens. Duterte muss keine Diktatur erklären um Diktator zu sein; es gibt keinen Amtsmissbrauch wenn das Amt es zulässt. Frage muss also nicht sein: Warum sperrt den niemand ein? Sondern: Darf er das qua Amt?

Zum anderen ist die Psychiatrie ein ebenso relatives Konstrukt das aus sozialer Interaktion heraus entsteht. Geisteskrankheit ist die Abweichung von der Norm, und jede Norm ist immer auch ein Ausdruck gegenwärtiger Machtverhältnisse. Deshalb muss Macht in dieser Analyse weit mehr im Mittelpunkt stehen als Geisteskrankheit. Duterte ein Psychopath? Mag sein, aber über wirkungslose öffentliche Diffamierung hinaus hilft uns das nicht. Jeder diskursive Angriff muss in der Sprache des Angegriffenen stattfinden, deshalb ist Obama in Dutertes Augen auch plötzlich ein „Hurensohn“, obwohl die Tatsächlichkeit dieser Behauptung dem philippinischen Staatsoberhaupt wohl reichlich an der Sitzgelegenheit vorbeigehen dürfte. Duterte hat die Beleidigung selbstverständlich sorgfältig gewählt, ja er drückt sich gewählt aus – warum sonst war Obamas Reaktion ein unmittelbar saloppes „kannste knicken“? Weil der „Hurensohn“ wehtat, in unserer Sprache.

Doch selbst das ewige „wir“ und „die Anderen“ ist unangebracht (wie eigentlich immer). Alles in allem, nach dieser wirren Abhandlung, bleibt zu sagen: Die spontane Reaktion, das affektive Entsetzen diesem selbst-proklamierten Nazi gegenüber hat eine kalkulierte Dimension, und eine selbstzerstörerische. Kalkuliert insofern als dass sie reaktiv ist, also Produkt einer Provokation, welche wiederum immer auf etwas abzielt. Selbstzerstörerisch insofern als dass sie sich selbst ihrer Legitimität beraubt – ich spreche zunächst vom ‚psychopathischen, kriminellen, genozidalen‘ Duterte, nur um zwei überlegungsreichere Absätze später festzustellen, dass ich damit nur in eine rhetorische Falle tappe. Also: Wer ist Duterte eigentlich?

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