Friedenskriegsfriedenskrieg

Im Forum der Körberstiftung in Hamburg wurde bei einer Diskussionsveranstaltung die Frage gestellt, ob es richtig sei, dass Berlin sich beim Beschluss der Militärintervention in Libyen enthalten hat. Das ist eine trügerische Fragestellung: Ob der Libyen-Einsatz selbst falsch oder richtig ist, kann so nicht diskutiert werden. Dennoch regten sich die Gemüter, als die Für- und sicherheitspolitische Sprecherin der FDP, Elke Hoff, von einer nicht hinreichenden Resolution sprach und die Pazifistin mimte.

Erregt sprach sie von der Deutungshoheit der französischen Intellektuellen, allen voran der agent provocateur der Philosophie Bernard-Henri Lévy, der bekanntlich starken Einfluss auf Sarkozy bei dessen Entscheidung für den Eingriff ausübte. Die Zivilbevölkerung, so Hoff jedenfalls weiter, werde durch den Einsatz nicht geschützt, sondern vielleicht sogar verstärkt gefährdet – und zu allem Überdruss sehe sich die „Europäische Nation“ nun auch noch mit neuen Flüchtlingsströmen konfrontiert. Irgendwie ist Hoff dann aber doch nicht allzu abgeneigt vom Schießen und Bomben, denn die Soldaten in Afghanistan machten schließlich einen „prima Job“ und sie selbst sei immerhin „sehr stolz auf mein Land“.

Welcher außenpolitische Schlingerkurs?

Auf der anderen Seite sprach der Politikwissenschaftler Karl Kaiser, der sich gar nicht mehr einkriegen wollte: Die Enthaltung sei die „schwerwiegendste vermeidbare Entscheidung seit Gründung der Bundesrepublik“ gewesen. Militärische Gewalt könne nunmal „je nach Lage“ notwendig sein, insbesondere bei Diktaturen – man solle nur einmal an die Intervention der Alliierten im Zweiten Weltkrieg zurückdenken. Die zurückhaltende Position der BRD sei mittlerweile „längst nicht mehr vertretbar“, es sei stattdessen wichtig, dass man Wohlstand „auch nach außen hin“ vertrete. Einen „außenpolitischen Schlingerkurs“ hingegen könne niemand gebrauchen. Welchen Schlingerkurs könnte Kaiser da gemeint haben? Letztlich gibt es doch nur zwei Möglichkeiten, wie die Enthaltung zustande gekommen sein kann: Der Typ, der die Hand nicht gehoben hat, war einfach voll im Stress. Oder: Man wollte sich für die nachfolgenden Auseinandersetzungen alle Optionen offen halten.

Die hier beschriebene Debatte wird auch in den deutschen Leitmedien schwerpunktmäßig geführt, sodass man schnell das Gefühl bekommt, es handele sich um eine Alibi-Streitfrage, mittels derer man sich aus den Kernfragen der Thematik heraushalten möchte. Andererseits dient das Wortgefecht um die Enthaltung Deutschlands aber auch – ob nun intentional oder nicht – der Ablenkung. Trotz alledem kommen wir mit den Äußerungen des werten Herrn Kaiser der Sache schon etwas näher. Stellen wir uns einleitend also die Frage, ob sich Interventionskriege überhaupt rechtfertigen lassen.

Die Ambivalenz des Interventionskrieges

Es ist kaum abzustreiten, dass die Intervention der Alliierten im Zweiten Weltkrieg eine positive gewesen ist. Trotzdem ist das kein hier anwendbares Argument, denn in den Arabischen Ländern liegt eine ganz andere Situation vor. In aller Munde heißt es, dass da ein verrückter Diktator, genannt Muammar al-Gaddafi, sein eigenes Volk bekämpft und fast ein zweites Ruanda begangen hätte. Die UN bringt also Frieden und Demokratie. Sie unterstützt die Rebellen bei der Beseitigung Gaddafis – soweit die Idee. Die Intervention beruft sich dabei auf das Konzept der Responsibility to Protect (R2P), welches im Groben besagt, dass eine Intervention zum Schutz der Zivilbevölkerung legitim ist. Fakt ist jedoch, dass auf diese Weise eine bislang gesichtslose Opposition, deren Zusammensetzung nicht klar ist (wo bleibt Wikileaks?), zur Bürgerkriegspartei gemacht wird. Warum interessiert sich die UN dafür? Die Rebellen kontrollieren im Wesentlichen den Osten Libyens – unter anderem die Hafenstadt Bengasi -, in welchem sich ein Großteil der libyschen Ölquellen befindet. Somit wird deutlich, welche Rolle die Militärintervention überhaupt spielt, wunderte es einen doch, wie schnell Europas bis dato kooperative Politik gegenüber nordafrikanischen Diktaturen umschlug – und warum man ausgerechnet in Libyen eingriff und nirgendwo sonst.

Die Unvernunft überlebt immer

Wie konnte man also Stimmung machen, um die Öffentlichkeit nicht allzu sehr zu verschrecken? Ganz einfach: Man machte aus dem Diktator das Monstrum (s. a. Der Freitag). Selbst höchste Diplomaten sprachen von einem Irren, malten fleißig mit an dem Bild, das die Medien aufs Papier brachten. Ein Staatsterrorist sei der Gaddafi, und gegen seine eigenen Leute richte er das Messer. Immer mehr Gruselgeschichten kamen in Umlauf, die, ob nun wahr oder nicht, die Figur eines ungeheuerlichen Gaddafi ordentlich stützten. Zuletzt brachte die US-Botschafterin im UN-Sicherheitsrat, Susan Rice, das Gerücht in Umlauf, Gaddafi versorge seine Soldaten mit Viagra, damit diese Zivilistinnen vergewaltigten. Man hatte der bunten Welt der Absurditäten einen eigenen Salon eingerichtet. Alle beteiligten sich, selbst jene, die zuvor noch die Hand des wüsten Staatsmannes (ha!) schüttelten. Und der Salon ist längst nicht geschlossen.

Gerade die großen Zeitungen feuern den Libyen-Einsatz unersättlich an und kriegen nicht genug davon, mit Ehrfurcht in der Stimme von der „internationale[n] Koalition“ für den Schutz „vor weiteren Massakern“ zu sprechen (FR online). Gleichzeitig wird dort aber der Nato-Generalsekretär mit den Worten zitiert, es gebe „keine militärische Lösung“ für „diesen Konflikt“. Damit ist vermutlich nicht nur gemeint, dass keine von beiden Seiten aufzugeben bereit ist und die Rebellen zudem nicht ganz so gut ausgerüstet zu sein scheinen wie ihre Opponenten, sondern auch, dass die militärische Auseinandersetzung gar nicht im Mittelpunkt des politischen Interesses der beteiligten Nato-Länder steht. Sie ist, das hat schon Clausewitz treffend formuliert, „nichts als die fortgesetzte Staatspolitik mit anderen Mitteln“. Und in deren Fokus liegt nun einmal die Öffnung weitreichender Ölvorkommen für den Weltmarkt.

Der humanitäre Krieg

Libyen nach der Intervention (Screenshot "Libyen.com").

Doch damit hat es sich noch lange nicht. Aller öffentlicher Argumentation und Agitation zufolge wurde die Welt mit dem Krisenherd Libyen um ein weiteres Areal der Friedensschaffung mit kriegerischen Mitteln bereichert. Der humanitäre Krieg ist dabei das inzwischen jahrzehntealte Paradoxon, das sich hartnäckig gehalten hat. Offenbar hält man eine Friedenstaube mit Maschinengewehr im Schnabel wirklich für realistisch. Wenn dann eine Elke Hoff von der FDP munter mit „Ja, gut – that’s reality“ antwortet, dann ist das wohl der Lauf der Dinge, der spöttisch lächelnd auf uns herabblickt. Vielleicht sind wir alle auch einfach nur so benommen vom permanenten Defizit Mensch, dass wir alles glauben, was man uns sagt. Aber wer sagt das denn? Sind es nicht alles Worthülsen, die wir selbst erfinden, um irgendwie irgendwas rechtfertigen zu können, von dem wir nicht einmal mehr wissen, warum wir überhaupt damit angefangen haben?

Die Responsibility to Protect sollte nach und nach durch eine Ability to Steck Weg ersetzt werden. Mehr Demokratie und weniger Öl, bitteschön. Das kann ich jetzt zwar so sagen – aber passieren tut da noch lange nichts. Es sind auch schon Rebellen selbst durch den UN-Einsatz getötet worden (Spiegel online). Was soll’s – wir nennen das „irrtümlichen Beschuss“. Das klingt nur noch halb so schlimm.

Insgesamt waren wir vor dem Einsatz schon weiter. Da hatten Claudia Major und Christian Mölling von der Stiftung Wissenschaft & Politik noch erklärt, das Militär könne „Zeit und Raum für politischen und gesellschaftlichen Wandel verschaffen“, diesen aber nicht umsetzen. Man warnte des weiteren vor einer „Operation ohne klaren strategischen Nutzen“, vor „blinde[m] Aktionismus“, der „das Leiden der Menschen“ nicht lindere (Financial Times Deutschland, 28.2.11, „Nur ja kein Militäreinsatz in Libyen“). Das ist zwar auch nicht allzu weit gedacht, denn das Militär wird auch hier weiterhin als unabdingbar einbezogen, aber immerhin ist man bereits zu der Erkenntnis gelangt, dass zehn- bis dreißigtausend Tote innerhalb von zwei Monaten bisher selten ein Zeichen von Frieden waren. Demokratie fährt nunmal schlecht im Panzer.

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2 Kommentare

  1. frequentlywronganswers
    Mai 22

    …eine bislang gesichtslose Opposition, deren Zusammensetzung nicht klar ist (wo bleibt Wikileaks?)…

    Wer seit dem Aufstand der „Rebellen“ gelegentlich oder stetig die Berichterstattung in den maßgeblichen Mainstream-Nachrichtensender dieser Welt, also BBC, CNN und Al Jazeera verfolgt hat, wird obige Klassifizierung so nicht zustimmen können. Die Zusammensetzung der Opposition ist nach westlichen Kriterien schwer faßbar, allerdings wird noch der Dümmste klar, das Westerwelles Einschätzung, es handele sich um eine Mittelschichtsrevolte, nicht völlig von der Hand zu weisen ist. Leider. Der Mittelschicht geht es in erster Linie immer um die Beseitigung jeglicher Staatslenkung in wirtschaftlichen und sozialpolitischen Dingen. Wenn dabei eine starke Islamisierung bis hin zur Einführung der Scharia unvermeidbar ist, nehmen die Gschaftlhubers das, allenfalls zähneknirschend, in Kauf. Man kommt letztlich selbst dabei gut weg, auch wenn es zu häßlichen Exzessen kommt. Und da die Westerwelles noch nicht wissen, wer künftig die Waffenbestellungen unterschreibt, bleibt man lieber vorläufig vorsichtig beim Parteiergreifen. Die Waffen werden ja schließlich mit Ölrenditen bezahlt, bzw. mit jeden Tritt aufs Gaspedal. Und ob diese Haltung Westerwelles die unter den gegebenen Umständen die schlechtere ist, bleibt abzuwarten. Sollten die Rebellen obsiegen und mehr oder weniger „Freie Wahlen“ abhalten, könnten dies durchaus auch die letzten „Freie Wahlen“ sein. Die Islamisten stützen sich im Zweifel und darüber hinaus auf mächtigen Sponsoren, ja sogar auf mehreren Sponsoren, die man gegeneinander ausspielen kann. Denn sowohl der schiitische Iran als auch Saudi-Arabien beobachten genauestens wie die Sache der Libyer ausgeht und wollen unabhängig vom Ergebnis ihren Einfluß dort ausweiten. Demokratie und bürgerliche Freiheiten haben bei diesen Staaten nicht die allergeringsten Stellenwert. Und für diesem Weltbild gibt es in den umgestürzten und umsturzgefährdeten Staaten in Nordafrika reichlich Fans und Ansprechpartner.

  2. Mai 23

    Dennoch bleibt aus unserer nicht nur geographisch weit entfernten Perspektive letztlich offen, inwieweit Spekulationen bezüglich des islamistischen Potenzials der Rebellen zutreffen. Gerade hat Gremliza in seiner Rede zum Tod Amendts selbigen zitiert, welcher darin wiederum Adorno zitiert mit den Worten: „[…] Es ist ein Quentchen Wahn beigemischt, dem das Totalitäre teleologisch beiwohnt.“ Die Erfolgschancen für den arabischen Islamismus sind in der Region, folgt man diesem Zitat, also drastisch angestiegen. In diesem Prinzip ist auch kein Platz für eine abweichende Entwicklung, welche ich mit meiner Formulierung auch keinesfalls auszuschließen beabsichtigt habe. Gesichtslos ist jene Opposition dennoch bis zu einem gewissen Grad: Anders als etwa in Ägypten liegt uns zum Beispiel keine stabile Organisationsstruktur offen vor. Daher liegen jeder Argumentation darüber lediglich Vermutungen zugrunde.

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