Die französische Paranoia geht mit dem sogenannten Burkini-Verbot in die nächste Runde. Öffentliche Belästigungen muslimischer Frauen unter Beisein oder selbst Aufsicht der Polizei erreichen damit neue Dimensionen und einen bösartigen Höhepunkt – so wurde zuletzt am Badestrand in Nizza, der Stadt in der noch vor kurzem ein mutmaßlich islamistisch motivierter Täter mit einem LKW durch die Menschenmenge der Feierlichkeiten zum Jahrestag des Sturms auf die Bastille fuhr, eine muslimische Frau am helllichten Tag von Polizisten dazu gezwungen, sich vor aller untätigen Augen ihres Burkinis zu entblößen (Spiegel Online). Irgendwas ist bei den Franzosen offenbar nicht mehr ganz frisch.
Erstens kann man ja gerne diskutieren, was man von der Verschleierung mancher (zugegeben weniger) muslimischer Frauen halten soll. Natürlich gibt es Argumente, die dagegen sprechen, den weiblichen Körper vor der Öffentlichkeit geheim zu halten – und selbst wenn die Frau das selbst okay findet, heißt das noch lange nicht, dass man die Implikationen eines solchen Ausdrucks sexueller Ungleichbehandlung in Ordnung finden muss. Und doch: Ich muss meiner Schwester auch nicht gleich heißen Kaffee ins Gesicht schütten, nur weil sie mich beleidigt hat. Ich könnte mich auch, ganz diplomatisch, mit den Motivationen und eventuellen Gründen auseinandersetzen, die sie haben mag, und eine freundliche Debatte führen. Vielleicht frustriert mich diese Debatte am Ende doch genug, um den Kaffee in Erwägung zu ziehen – aber einer Affekthandlung, für die ich mich im Nachhinein schäme, bin ich zunächst aus dem Weg gegangen. Nicht zu verachtender Pluspunkt: Ich vermeide es, womöglich selbst heißen Kaffee ins Gesicht zu kriegen.
Zweitens wissen wir aus zig Workshops und Wochenendseminaren, dass Timing eigentlich immer hilft. Und das könnte in Sachen Burkini wohl kaum schlechter ausfallen – dafür gibt es deshalb leider nur einen von 5 Sternen ans französische Innenministerium. Wer meint, Frustration ist ein guter Ausgangspunkt für intelligente Politik, sollte sich besser erstmal einen Stressball o.Ä. zulegen. Dank moderner Einfälle wie dem Rechtsstaat (das Folgende gilt nicht für die USA) hole ich im Falle eines Einbruchs nicht sofort das Luftgewehr aus dem Kabuff, sondern rufe die Polizei. Das ist praktisch, denn dann kann sich die Justiz darum kümmern und ich mich auf die faule Haut legen. Wenn ein Massenmörder meinen Nationalfeiertag kaputt macht, dann muss ich also auch nicht gleich rassistisch werden (oder bleiben) und all seinen MitreligiösInnen den Badeanzug verbieten (denn das ist kindisch). In puncto Timing hat die Burka-Debatte nämlich eigentlich nichts zu suchen, sondern eine ausschließlich provokative Funktion, und das ist, unterm Strich, ziemlich dumm.
Drittens bedarf es nicht einmal des kleinen Einmaleins der Terrorismusforschung, um zu schnallen, dass man nicht besoffen in die Sauna geht – oder, wahlweise, auf Schrecken mit Zurückschrecken reagiert. Wenn das ultimative Ziel eines Terroraktes ist, Angst zu schüren, dann ist es ein ultimativer Akt der Kurzsichtigkeit, aus Angst vor Moslems Burkinis zu verbieten. Bitteschön: Sie haben es trotzdem getan, die Franzosen, und anscheinend ist auch keiner am Strand aufgestanden, um der Polizei die Leviten (oder die Erklärung der Menschenrechte) zu lesen.
Zu guter Letzt sind es aber nicht nur die Franzosen. Wir sind, so gesehen, alle Franzosen – und müssen uns auch dementsprechend, genau wie die Gallier, in der Diskursreflektion üben, und zwar gerne ein bisschen mehr als sonst. Das wusste der petit Nicholas schon ganz genau: Erst denken, dann reden.
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