Das schöne Leben und die Politik

Wie kann der politische Mensch zufrieden leben?

Der politische Mensch (homo politicus) lebt für seine spezifische Ideologie: Er kämpft für eine nach seinen Vorstellungen gerechte Gesellschaft und strebt nach einer Umsetzung seiner Ideale. In seinen freien Stunden geht er auf die Straße, diskutiert mit Gleichgesinnten, schreibt Flugblätter oder Streitschriften, festigt sein Weltbild und vertritt seine Positionen in der Öffentlichkeit – man kann sagen, er lebt für die Öffentlichkeit, denn sein Zweck ist die Erhaltung seiner Ideologie, sein Nutzen für die Welt, in der er lebt, ist die Mitteilung seiner Gedanken oder der bereits formulierten Gedanken seiner Gesinnungsrichtung. Was er tut, wie er fühlt, was er erlebt, spielt keine Rolle in seiner politischen Auffassung, denn es trägt nicht zur Fortführung seiner kritischen Gedanken bei.

Die Lebensaufgabe des homo politicus ist keine persönliche, mit sich selbst befasste, sondern eine gesamtheitliche, mit allem ihn Umgebenden befasste. Somit leitet er das eigene Unglück vom Unglück aller, ebenso das eigene Wohlbefinden vom Wohlbefinden aller ab. Diese Haltung bedingt eine Vernachlässigung der eigenen Persönlichkeit, da sie dem Menschen die Fähigkeit zur Lösung der größtmöglichen Menge an Problemen abfordert. Der dabei notwendige Aufwand ist mehr, als ein Individuum allein zustande bringen kann, so findet der homo politicus denn auch sein Aktionsfeld in der politischen Bewegung. Immer noch handelt es sich dabei jedoch um eine Minderheit, vielleicht auch eine Mehrheit, nie jedoch die Gesamtheit. Nur die Gesamtheit kann jedoch das Problem aller lösen – ich kann nunmal auch nichts tun oder entscheiden, wenn nicht die Gesamtheit meiner Instanz dies will. Dies soll das Rückgrat der Bewegung allerdings noch lang nicht einknicken machen, zumal der stärkste Protest, der größte Kampf und die hartnäckigste Forderung noch jedesmal die Belange aller Gesellschaft bestimmen konnte.

Zunächst bestehen allerdings die Verhältnisse, gegen die sich der homo politicus sträubt, weiter. Sie werden sich nicht vom einen auf den anderen Tag umkehren, und das weiß der Mensch, sofern er auf seine Vernunft hört. Sein Idealismus und seine Utopie können ihn aber verblenden, sodass er die Realität vor lauter schönen Träumen nicht mehr sieht. In dem Fall – und er kommt häufiger vor, als es den Anschein haben mag – findet eine vehemente Selbstvernachlässigung statt, sodass sich die Person mehr um ihr angestrebtes Ziel als um sich selbst oder ihre Selbstverwirklichung anstrengt. Hat der Mensch die Tatsachen und die reellen Verhältnisse hingegen nicht vergessen, so muss er einen Weg finden, in der Gegenwart zurechtzukommen.

Die Frage muss daher lauten, wie er zurechtkommt – wie kann der politische Mensch zufrieden leben in einem System, in dem seiner Idee nach Gerechtigkeit nicht möglich ist, in dem er Ursache allen Übels sieht? Es bestehen mehrere Möglichkeiten einer entsprechenden Lebensweise. Erstens kann er ambivalent, also ausgleichend durch die Tage gehen: Hier kämpft er für sein Richtiges, dort agiert er im Falschen. Ist er dabei zufrieden? Nein, denn im Laufe der Zeit wird er entweder an dieser Ambivalenz verzweifeln – oder er wird demotiviert und gibt seine Idee auf. Zweitens kann er seine Politik in das private Leben übertragen und daraus ein alternatives Lebensmodell errichten: Er sträubt sich gegen jedes systemkonforme Verhalten und legt so einen Zaun um alles, was er tut. Ist er dabei zufrieden? Nein, denn er wird gesellschaftlich ausgegrenzt werden und sich somit selbst Schaden zufügen.

Drittens aber, diese Möglichkeit sei hervorgehoben, kann der homo politicus versuchen, die Waage zwischen seinem Sinn für das Wohl aller und seiner notwendigen Selbsterhaltung wie auch -beglückung zu finden. Er schöpft alle Möglichkeiten aus, die er hat, um physischen und psychischen Wohlstand zu erreichen – er geht, soweit er kann. Anstatt also eine Verbesserung der Lebensumstände aus Solidarität mit jenen, die auf ein anderes Niveau gezwungen sind, abzulehnen, nimmt er sie an und sammelt zur gleichen Zeit die Energie dafür, seinen eigenen Wohlstand im politischen Sinne zielgerichtet zu nutzen. Weiter muss er nach einem geistigen Wohlbefinden streben, welches nicht allein auf dem politischen Geist beruhen kann; also dem Vermögen, die bestehende Gesellschaft zu kritisieren und ein Gegenmodell zu entwerfen und zu verteidigen. Er darf seinen philosophischen Geist – das Vermögen, Fragen zu stellen und nach ihren Antworten zu suchen – ebensowenig vernachlässigen wie seinen poetischen Geist; das Vermögen, die Sinneswahrnehmungen und -eindrücke zu verarbeiten und in eigener Form zu vermitteln.

Gewiss mag dieses dritte Lebensmodell nicht jedem zugänglich sein; so bleibt dabei unbeachtet, welche Optionen sich entsprechend den jeweilig gegebenen privaten Umständen überhaupt bieten. So ist das zu erreichende Maximum an sowohl geistigem als auch körperlichem Wohlstand überall anders gesetzt. Wir dürfen uns aber von der Relevanz der Frage, wie der politische Mensch zufrieden leben kann, nicht abwenden, stattdessen müssen wir in die direkte Konfrontation gehen, wenn wir nicht als Mittel zum Zweck leben und unerfüllt sterben wollen. Es gibt noch viel zu diskutieren.

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