Polens wackelnde Wende

Seitdem Polens neue Regierung, eingeschworen im November, an der Macht ist, machen sich Gerüchte breit, die amtierende Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) strebe konstitutionelle Einschnitte in verschiedenen Bereichen an. Unter den Händen von Premierministerin Szydło sowie deren Politpapa und Parteichef Kaczyński steht, so scheint es, der Vorzeige-Postkommunismus Polens auf dem Spiel. Neben anderen Erfolgsländern Mitteleuropas wie etwa Tschechien zählt der gewaltfreie Übergang Polens und sein seither stetig angestiegenes (wenn auch zögerliches) Wirtschaftswachstum zu den Schulbuch-Beispielen moderner demokratischer Entwicklung.

Unter kräftiger Beihilfe der Bewegung „Solidarität“ hat sich Polen im Zuge des Niedergangs der Sowjetunion von seinem vergleichsweise moderaten kommunistischen Regime verabschiedet und konnte schnell auf die breite Unterstützung einer relativ regen Zivilgesellschaft zählen. Das sind, auch das erinnert an Tschechien, nicht die übelsten Voraussetzungen für einen demokratischen Wechsel – und sollte deshalb auch nicht zu voreiligen Schlüssen für Regionen ziehen, in denen das Thema keineswegs so ruhig über den Tisch ging (siehe vor allem Jugoslawien).

Nun sieht Polen sich einer der Demokratieentwicklung weniger dienlichen Situation gegenüber: Eine Wahl, die man wohl als affektive Reaktion auf die im Zuge der Flüchtlingskrise geschürte Paranoia einschätzen kann, hat einer ultrakonservativen Partei die Mehrheit geschenkt, die sich nun zum zweiten Mal seit der Wende an rechter Politik versucht.

In ihrer ersten Amtszeit hatte das Verfassungstribunal der PiS noch im Wege gestanden, sodass die Institution nun an erster Stelle von Einschnitten betroffen ist. Das ermöglicht es der Regierungspartei nicht nur, ihre umstrittenen konservativen Gesetzesentwürfe um einiges leichter durchzusetzen (der Gegenwind der Legislative ist kürzlich gedämmt, wenn nicht gelähmt worden) – es stellt auch eine klare Verletzung demokratischer Grundsätze dar. Das hat dem ehemaligen Führer der „Solidarität“-Bewegung sowie Ex-Premier und Nobelpreisträger Wałęsa Anlass genug gegeben, vor einer potenziellen Gefährdung der polnischen Demokratie zu warnen.

Das Prinzip der Gewaltenteilung sieht drei gleichermaßen starke Grundpfeiler in einem Staat vor, und wenn nun einer davon die Kontrollmechanismen des anderen de facto reduziert, und teilweise sogar aushebelt, dann ist das ein Schritt, der Polens Wende erheblich wackeln lässt. Änderungen in den (oberflächlich betrachtet) prozeduralen Formalitäten des Verfassungstribunals dürften drastische Konsequenzen haben: Um ein Gesetz auszuhebeln, bedarf es dem Gericht nun einer Zweidrittel- statt der bislang üblichen einfachen Mehrheit – darüber hinaus sollen übertriebene Verzögerungen eingeführt werden, die die faktische Macht des Gerichts de facto gegen formelle Macht austauschen.

Was beinhalten die Gesetzesentwürfe, denen nun der Weg bereitet ist? Genau das, was man von einer ultrakonservativen Partei erwartet. Neben Spekulationen auf ein totales Abtreibungsverbot wirbt PiS vor allem, auf populistisch-nationalistische Manier, für eine Erhöhung des Familienzuschusses. Beide Gesetzesentwürfe jedoch tragen zur Marginalisierung polnischer Frauen bei und stehen den eigentlich fortschrittlichen, toleranten Aussichten Polens damit diametral entgegen. Sie bauen auf die katholischen Grundsätze des Landes und beuten diese politisch aus, um eine reaktionäre Stärkung der Kernfamilie durchzudrücken – auf Kosten all jener Lebensentwürfe, die nicht vom konventionellen Familienbegriff gedeckt sind.

Ob es nun angebracht ist, wie Martin Schulz es getan hat, diese ersten Schritte der PiS mit einem coup d’état zu vergleichen, bleibt fraglich – ohne Frage ist Polens neue Regierung jedoch mit äußerster Vorsicht zu genießen. Und das ist nicht nur relevant für Mitteleuropa. Es stellt auch, wesentlich weiter gefasst, jene Modelle der Demokratieentwicklung in Frage, die Staaten vorschnell für stabilisiert erachten.

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