Der Strom gegen den Strom

Sie nennen sich manchmal Indies, was früher für „Independent“ („unabhängig“) stand und eine Musikbranche derjenigen „Alternativen“ bezeichnete, die sich nicht von den großen Labels schlucken ließen. Mittlerweile hat diese Ecke „abseits des Mainstreams“ aber einfach ihren eigenen massenkonformen Stil entwickelt, der sich inzwischen großer Beliebtheit erfreut: Er zeichnet sich heutzutage durch eintöniges Gitarrengeschrammel und schnöden La-La-La-Gesang aus. Diese Marke wird als pure Kreativität und unerschöpfliche Quelle intellektueller Mode-Mucke verkauft. Der Knackpunkt: Der neu aufgelegte Beatles-Pop in elitärem Gewand scheint zu entpolitisieren.

Jung, kreativ und frei

Im Schnitt besteht die Zielgruppe aus jungen Menschen im Alter von 15 bis 20 Jahren, die sich irgendwie besonders fühlen. Sie sind sogenannte „Querdenker“ und fantasievolle Köpfe. Sie schwimmen gegen den Strom und striegeln gegen den Strich. Sie haben nichts anderes im Kopf als ihre Musik, einen abgehobenen Lebensstil und viele kluge Einfälle. So geben sie das perfekte Bild des vom Neoliberalismus so gefragten ehrgeizigen jungen Menschen ab.

Prinzip Massenindividualismus

Weil „ehrgeizige junge Menschen“ aber nicht etwa den Staat hinterfragen dürfen (das ginge zu weit), füttert man sie mit Belanglosigkeiten. So handeln die Texte jener Musikrichtung sehr häufig von pubertären Gefühlsstürmen und -ausschweifungen; was bei der Zielgruppe natürlich nicht verwundert; jedoch angesichts der Imagepflege als „intellektuell-spezielle Musik“ unpassend anmutet. Der Indie, der sich mittlerweile wie alle anderen auch von der Stange bedient, wird zum Individuum hervorgehoben, das einzigartig in seiner Lebensweise sein soll. Rotwein und Retro, Starbucks und Schönheit – kurzum: man hat einen unglaublich aufregenden Charakter und ist interessiert an den besonderen Dingen im Leben. Nur blöd, wenn alle die gleichen besonderen Eigenschaften haben.

Erst das Vergnügen, dann die Arbeit

Soweit, so gut. Wir haben da also eine Masse an jungen Querdenkern, die gefühlsbetont und sehr kreativ durchs Leben wandeln. Perfekt – besser kann es gar nicht kommen. Für den Kapitalismus. Das System wird nicht hinterfragt, das Einkommen schon gar nicht (man stammt schließlich aus gutem Hause), die Kehrseite der Medaille vom sonnigen Herzen ausgeblendet. Keine Sorgen um die Zukunft, die ist schließlich so oder so gesichert – man tut einfach, was man kann!

So haben sich Musikbranche, Modeindustrie und Medien Hand in Hand den zukünftigen altbewährten Kleinbürger zurechtgestutzt. Der ist dann nicht mehr konservativ, sondern „irgendwie links“, trägt frischen Geist in die Gesellschaft und verdient Geld mit hippen Jobs aus der kreativen Ecke (z. B. Model- oder Werbe-Agentur). Im Alter stutzt er die Hecke, mäht den Rasen und dreht die individuelle Musik von damals etwas lauter auf als sonst.

Worum ging es noch gleich?

Dieses Beispiel ist nur ein weiterer Fall von der Neoliberalisierung eines gesellschaftlichen Bereichs. Wie auch die Parteien immer mehr an den politischen Mainstream und eine bessere Eignung angeglichen werden (Vorzeigebeispiel Grüne), so geschieht dies auch mit Musik und Mode. Nur ist der Schritt zur politischen Gleichgültigkeit dort erheblich leichter getan als im Parlament. Es braucht keine Manipulationsmethoden, keine Intrigen, keine Korruption. Der Indie ist zu einer elitären Variante des Pop verkommen, die als viel Wert auf gehobene Ansprüche legt – und zwar in allen Lebensbereichen. So eignen sich die Fische im neuen Strom später bestens als unpolitische Wähler mitte-rechter Parteien.

Das ist natürlich schwierig. Und das Wörtchen „Indie“ ist auch schwierig, zumal man es eigentlich nicht so pauschal anwenden kann. In diesem Zusammenhang stempelt man schnell ab. Das „Schubladenkonzept“ ist nicht neu und sehr deutsch. Man mag jetzt vielleicht Haare spalten und die beschriebene Gruppe nicht als Indies bezeichnen wollen. Fest steht aber, dass hier eine Gesellschaft heranwächst, der ein elitärer Geist schon in jungen Jahren beigebracht wurde – nicht zuletzt durch von Musik, Medien und Mode gesteuerte Einflüsse.

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4 Kommentare

  1. März 26

    „Vor lauter Individualität sind sie alle ganz uniform.“
    – (hier müsste jetzt dem Zitierten Ehre erwiesen werden) –

    Weißt du denn vielleicht, wer dies einst zum Besten gab?

  2. März 26

    Nein, hilf mir auf die Sprünge. Aber das Zitat passt wirklich gut zum Thema.

  3. März 27

    Ich kann es leider nicht mit letzter Sicherheit sagen, Deutschunterricht GK S1 soweit ich weiß. Eventuell G. Büchner aber im Internet war nichts Brauchbares dabei, selbst WikiQuote scheitert daran.

  4. laskjfario
    März 30

    Ein bisschen zu viel Dan Brown gelesen, würde ich sagen…

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