Was soll ich sagen? Die Grünen können sich freuen, denn die Deutschen glauben, in den Himmel zu kommen, wenn sie die Grünen wählen. Jetzt, wo alles wie gebannt auf Japan schaut und die Angst vor radioaktivem Gemüse wieder umgeht, ist ein politischer Schwung nur mehr eine Frage des Reaktionsvermögens.
Merkel ist eine gute Reaktorin und weiß deshalb genau, wie man geschickt aus der Schusslinie geht. Man legt die Tagesordnung lahm, wartet die feurigen Debatten und das bürgerliche Gezeter einige Zeit ab und kehrt danach wieder zum alten Geschäft zurück. Weil das so schön ist, gibt es auch ein schönes Wort dafür, das trockener klingt als zwei Scheiben Pappe zum Frühstück schmecken dürften: Moratorium. Man kann gar nicht oft genug versuchen, es sich auf der Zunge zergehen zu lassen.
Lächerliches Szenario
Derweil schwappen allerlei wirre Geschichten aus Japan herüber, der eine sagt das, die andere das – und beide wissen es nichts Genaueres. Wir wägen also jedesmal ab und kommen bei jeder Nachrichtensendung zu einem neuen Urteil. Die derzeitige Lage sieht jedenfalls – man kann es drehen, wie man will – furchtbar aus. Vermutlich hat eine Kernschmelze stattgefunden (Taz). Die Reaktoren sind vollends im Eimer, zuletzt kam die Meldung, hoch radioaktiv verseuchtes Wasser trete aus einem Leck aus (Spiegel Online). Man misst inzwischen in immer mehr Bereichen erhöhte Strahlenwerte; es ist das absehbare Unvorstellbare in den Tagesberichten. Auch die Feuerwehrmänner, die man aufgrund deren Rettungsversuch in den Schlagzeilen schon als Helden gefeiert hatte, waren offenbar doch keine Freiwilligen. Letztlich war der Einsatz doch nur ein lächerliches Szenario, denn erstens ist Wasserbeschuss auf einen glühenden, zerstörten Reaktor der halbe Tropfen auf den brennenden Stein, und zweitens ist nichts leichtsinniger, als dutzende Arbeiter unmittelbar der Strahlenquelle auszusetzen.
Zurück nach Deutschland. Ist eine Kehrtwende in der Politik zu erwarten? Man könnte darüber spekulieren. Nachdem nun die Grünen etwa in Baden-Württemberg dermaßen gut abgeschnitten haben, was zunächst Stuttgart 21, zuletzt aber ausschlaggebend eben Fukushima zu verdanken war, nehmen die Zweifel an der Regierung innerhalb der Bevölkerung scheinbar doch zu. Dass die Antwort darauf nun die Grünen sein mussten, ist zwar kurz gedacht, aber zu hohe Erwartungen helfen uns nicht weiter. Die spannende Frage der nächsten Zeit ist doch, was die Grünen aus ihre verlängerten Arm machen: Werden sie angesichts eines energiepolitischen Zugzwangs konsequent sein – oder werden sie sich wie schon so oft zurückhalten?
Voraussetzungen zum Abschalten schaffen
Überschauen wir die Lage einmal, sehen wir eine neuerstarkte Bewegung gegen Atomkraft. Das ist gut so, wenn auch nicht sonderlich politisch. Viele schließen sich aus Heimatschutzgründen an oder weil das Thema einfach gerade angesagt ist (nicht zuletzt ist aus der Kampagne „Atomkraft? Nein, Danke!“ mittlerweile ein entpolitisiertes Label wie „Gegen Nazis“ geworden). Dennoch muss diese Kraft gut überlegt eingesetzt werden. Fest steht, dass sich nicht von heute auf morgen alle Atomkraftwerke abschalten lassen (das geht nur mit Köpfen). Ein energiewissenschaftlicher Plan in der Art, wie ihn Rot-Grün einst bereits vorgelegt hatte, ist jedoch durchaus nicht abwegig. Allerdings müssen Voraussetzungen für eine entschiedene Schwächung der Kernkraftkonzerne geschaffen werden, die die politischen Entscheidungsträger auf kommunaler Ebene wie auf Bundesebene zumindest zu einem gewissen Kurswechsel drängen. Ein Weg wäre etwa die Schaffung einer ausschlaggebenden Nachfrage nach erneuerbaren Energien, denn ein nationales Abschalten bei Nutzung von importiertem Atomstrom führt zu nichts.
Als erstes müssen den Deutschen noch einige Schuppen von den Augen fallen. Dass Merkel während des Moratoriums etwa alle AKWs prüfen lässt, ist gleichsam ein Grund zum Lachen und zum Heulen: Erst eine Laufzeitverlängerung in ganzheitlicher Übereinstimmung mit den führenden AKW-Betreibern, dann das. Dass es weiterhin CDU-Wähler gibt, sollte Anlass dafür geben, umgehend auszuwandern. Stattdessen bleiben wir aber hier und müssen uns diese Berg- und Talfahrt ansehen, die Hoffnung, die kommt und geht, wann sie will. Das Hin und das Her, ich habe beides satt. Am Ende landen wir wieder bei Null. Trotzdem wollen wir keine geschlagenen Nichtsnutze sein und wehren uns immer wieder mit aller Kraft. Was ist das für ein Abwehrverhalten? Was haben wir zu verlieren? Ehre, Würde, Stolz? Lieber Gott, wenn wenigstens du noch wärst und es die Wissenschaft nicht gäbe.
Nicht nur die Grünen, sondern auch die Börsen auf aller Welt dürfen sich über die Katastrophe in Japan freuen. Es erschließt sich ein ganzer Markt, der Tsunami hat schließlich nicht einmal vor Zahnbürsten Halt gemacht; na, wunderbar!
Foto: Louisa Manz/Jugendmedien.de
Mir macht der Erfolg der Grünen Sorge. Es ist eben richtig, dass der Zulauf zu ihnen nach der Verelendungstheorie zu bemessen ist. Die Menschen wissen einfach nicht wohin und gehen zu den Grünen weil sie erst einmal gegen das Bestehende sind. Aber mir fehlt immer noch die positive Grüne Definition – eine Marschrichtung eben. Denn Naturschutz ist einfach kein politisches Statement, es ist ein vernünftiges.
„ist nichts leichtsinniger, als dutzende Arbeiter ohne Schutz unmittelbarer Strahlung auszusetzen.“
Wie gut kann man denn gegen Strahlung schützen? Strahlenschutzanzüge schützen vor radioaktiv verstrahlten Partikeln, die man einatmet, nicht gegen die Strahlung selbst. Da hilft nur viel Blei oder Beton, worin niemand arbeiten kann.
Also fand ich diesen Satz ein wenig seltsam angesichts der Möglichkeiten, die existieren.
Aber dem Abschnitt mit den CDU-Wählern und dem Auswandern kann ich nur zustimmen.
Du hast natürlich recht, das war ein wenig holprig formuliert. Ich habe es jetzt geändert. Was ich meinte, ist der Zynismus des – um es zu überspitzen – Helden in Freizeitkleidung vor der Strahlenquelle.