Wer hat schon Zeit? Wir haben alle keine Zeit. Ich renne von morgens bis abends, um den nächsten Termin nicht zu verpassen. Während des einen denke ich an den nächsten Moment, daran, was alles passieren könnte, was mir alles im Weg stehen könnte, aus welchen Gründen ich zu spät sein könnte! Zu spät, zu spät! In meinem Kopf taucht alle zehn Minuten – Sekunden! das weiße Kaninchen aus „Alice im Wunderland“ auf, um mir mit der tickenden Uhr in der Pfote vorzuhalten, dass ich schon wieder spät dran sei, beeilen müsste ich mich, beeilen, beeilen!
Also haste ich von dannen, schnurstracks fege ich durch die Straßen, aber rennen will ich nicht, das sähe so gehetzt aus, da gehe ich lieber, in gesteigertem Tempo zwar, aber ordentlich. Auf dem Weg stolpere ich fast, doch das kann ich mir jetzt nicht erlauben, ich muss weiter! An der Bushaltestelle muss ich plötzlich warten, damit hatte ich nicht gerechnet, jetzt gerät meine Planung durcheinander, ein Desaster – Ausatmen. Das Kaninchen in meinem Kopf schlägt Purzelbäume, ich höre seine Uhr immer lauter ticken, da! da ist der Bus.
Natürlich will ich einen angemessenen Platz, also zwänge ich mich in das Gefährt, drängele mich zwischen Frauen, Kindern, Alten und Behinderten hindurch, um bloß noch ein Polster unter den Arsch zu bekommen. Ha! Eins gefunden! Hingesetzt, Stöpsel in die Ohren, schnelle Musik, Tamtam und Trara, das brauche ich jetzt. Ich bekomme nicht mit, dass ein Mann fortgeschrittenen Alters nach meinem Sitzplatz verlangt, weil ich die Musik so laut gedreht habe. Also schäme ich mich meiner Unhöflichkeit nicht, das wäre auch nur lästig.
Müde und kaputt bin ich, schon seit Tagen. Mein Kopf senkt sich langsam nach vorn. Ich verpasse meine Haltestelle und muss ein Stück des Weges zurücklaufen, zum Bahnhof – jetzt renne ich doch. Das wollte ich nicht, das stört mich, das passt mir nicht in den Kram. Was für ein Chaos! Immer dieses Chaos! Hätte ich mich nur mal zusammengerissen und an den Plan gehalten, dann müsste das alles gar nicht so hektisch sein.
Am Bahnh0f stürme ich die Treppen hoch, nehme immer zwei Stufen auf einmal, da zuppeln mir alte, schwache Finger am Ärmel. Ich drehe mich herum und blicke einer kleinen, zittrigen Dame am Rollator ins zerknitterte Gesicht. Was soll das?, denke ich, was willst du? Sie deutet an, ich möge ihr doch helfen, sie käme nicht allein die Treppen hinauf. Das sei mir jetzt peinlich, log ich, ich würde das nur allzu gern tun, müsste aber schnell weiter. Ihre Reaktion im Traum nicht abwartend, ziehe ich fort und bekomme die Bahn gerade rechtzeitig. Wo wollte ich noch gleich hin?
Sehr schoen gesagt! Zeit hat man nicht, man nimmt sie sich.
Schöner Text und schon ein wenig ekelig!
Deswegen verzichte ich jetzt auch auf meine Moralpredigt, keine Zeit!