Kommentar zur Debatte um „Into The Wild“
Moritz von „Laute irrt“ hat in seinem Artikel „Von einem, der loszog, um zu leben“ das Verhalten des reisenden Märtyrers für exzessiven Antikonformismus, Christopher McCandless (bekannt als Protagonist aus Sean Penns Filmdrama „Into The Wild“) auf eine interessante Weise reflektiert. Dieser ist bürgerlichen Zwängen ohne jegliche Vorbereitung in die Wildnis entflohen, um schließlich aus Unkenntnis dort zu sterben. Die zentrale Frage, die sich Moritz nun gestellt hat, war, ob „[McCandless] ausgesprochen dumm oder ausgesprochen klug gehandelt hat“. Sein Fazit: Er war nicht „zu dumm zum Überleben“, sondern „klug genug zum Leben“.
Ist McCandless Dummkopf oder Revolutionär? Jemand mit dem Namen Felix – stellvertretend für all die, die sich mit Northface-Jacke und iPhone-Kompass in die Wildnis wagen – hat sich umgehend beschwert: Selbstverständlich sei McCandless‘ Verhalten leichtsinnig und naiv. „So einen Unsinn“, damit bezog er sich auf Moritz‘ Artikel, könne man „halt nur von zu Hause auf der Couch aus schreiben“.
Nun ist McCandless‘ Naivität das eine. Seine Ideale, Prinzipien und sein Verhältnis zur Natur sind das andere. Er hat meines Erachtens – und so wenig ich über ihn weiß – den lebensmüden Versuch gewagt, sich systemischer Logik, rationalistischer Bigotterie und der Doppelmoral eines bürgerlichen Lebens förmlich zu entreißen. Das kann nur ein gewaltvoller Akt sein, und die Tiefe dieses Aktes liegt im Mut des Individuums, alles, jeden Zusammenhang endgültig dafür aufzugeben und loszulassen.
Würdest du dein Smartphone in die Tonne schmeißen?
Das ist die Stärke dieser Geschichte, auf die auch Sean Penn in seiner wunderbaren Verfilmung ein besonderes Augenmerk gelegt hat. Wichtig ist: Was lernen wir daraus, wir, die Generation „Web 2.0“? Wir können hier sitzen und bloggen und twittern und weiß der Geier was. Es ist dies nicht einmal eine Frage der Moral oder der Überzeugung: Würdest du das auch machen? Würdest du dein Geld verbrennen, dein Auto stehen lassen, dein Smartphone in die Tonne schmeißen und losziehen? Würdest du deine Familie und alle anderen geliebten Menschen hinter dir lassen?
Für den einen mag das Egoismus sein, womöglich sogar ein asoziales Verhalten. Es ist auch asozial, aber das ist ja gerade der Ansatz: Wenn die Gesellschaft nicht mehr auszuhalten ist in ihrer Starre, ihrer Falschheit und ihrem Gruppenautismus, dann will ich kein Teil mehr davon sein. Dann will ich ein Toter sein, dann sollen sie gucken, wo sie bleiben mit ihren Pässen und Ausweisen, mehr als dies Papier will ich nicht sein. So hat es McCandless gemacht.
Dass das technische Vorgehen, die Planlosigkeit, die „Unvernunft“ dieses jungen Mannes naiv war, mag niemand bestreiten. Es ist aber auch scheißegal, denn warum sollte man sich beim Ausbruch aus dem großen Bauhaus noch ein Konzept machen? Wieso sollte sich jemand einen Plan machen und vernünftig handeln, wenn er Plan und Ratio immer mit größtmöglicher Ablehnung begegnet ist?
Schöne Ergänzung, der ich nichts mehr hinzuzufügen habe, außer natürlich: Du schreibst das halt alles von der Couch und hast deshalb keine Ahnung von nichts. ;)
Ich schreibe gerade vom Bett und nicht von der Couch aus! Hier mein Kommentar zu der Debatte: http://lahnblog.de/kultur/der-plan-vom-plan-einen-plan-zu-machen/
‚Society, you crazy breed, hope you’re not lonely without me.‘
Naivität geht bekanntlich ohne Alternative vom Standpunkt der Vernunft aus. Diese Vernunft ist eine allgemeingültige, nicht das Individuum hat sie geprägt, sondern eine Vielzahl von Individuen. Jeder Einzelne ist natürlich seiner Triebe Untertan, also gewillt, am Leben zu bleiben. Aber vor allem als Folge des Abwägens, des Reflektierens und einer Art Gefahrensanalyse auf gesellschaftlicher Ebene muss man es naiv nennen, sich ohne die „nötige“ Vorbereitung, das angemessene Know-How, in einem der kältesten Gebiete der Welt die Tage und Nächte um die Ohren zu schlagen. Aber er lässt, wie du ganz richtig beschreibst, diese moralischen und vernünftigen Gesellschaftstugenden weit hinter sich. Der Tod in der Wildnis wird von Penn – sofern ich mich erinnere – auch auf eine erlösende, zuletzt keine quälende oder bedauernde Art und Weise zelebriert. Mir schien es, als würde „Alexander Supertramp“ diesen Tod lieber zehn Jahre am Stück erleiden, als nur eines dieser zehn Jahre im Kreise seiner Eltern, Kommilitonen, etc zu verbringen.
Der Planlosigkeit der vielen Einzelnen als Fluch für Alle zu erkennen, kann durchaus die Sehnsucht nach einem Plan für Alle auslösen.
Jedenfalls ist hierin eine alte Menschheitstraum zum Schlummern verurteilt. Das dies von amerikanische Filmregiseure noch nicht erkannt wurde, ist die Tragik der Medienwelt.
Aber dafür kommen immer wieder kassenträchtige Unterhaltungsfilme in die Kinos. Manchmal sogar ganz großes Kino. Ab einem Moment, den der Film nie schlüssig zeigen kann, gibt es kein rationales handeln mehr, weil dazu die Voraussetzungen für jegliche, zunächst nur materielle, Planung abhandengekommen sind.
Was danach passiert, ist reine bittere Poesie, Melodram oder schlichte Groschenromantik: Es kommt wie es kommen muß…
Manche empfinden dabei Langeweile. Das sind die Älteren, die sowas schon ein Kinoleben lang gesehen haben.