Dilemma-TV

Die US-amerikanischen Fernsehserien von heute zeigen, wieso das Leben im Neoliberalismus nur aus Notlösungen besteht und Gerechtigkeit nicht gesetzeskonform ist.

In der Serie Weeds ist die Protagonistin Nancy Botwin seit dem unerwarteten Tod ihres Mannes alleinerziehende Mutter zweier Jungen – Shane, ein neunmalkluger Psychopath im Kleinkindalter und Silas, ein Teenager, der so seine Erfahrungen macht. Die Familie steht vor dem großen Problem der Finanzierung. Nancy war bisher Hausfrau, will aber nicht aus Geldnot das Haus aufgeben. Also beschließt sie kurzerhand, Marihuana zu verkaufen.

In Breaking Bad führt der mürrische Vater Walter White ein sehr durchschnittliches Leben in Albuquerque, New Mexico. Sein Arbeitsalltag als überqualifizierter Chemie-Lehrer ist nicht nur monoton, sondern bringt außerdem nur ein sehr spärliches Gehalt ein, was er mit einem Job beim Auto-Waschservice aufbessert. Eines Tages bekommt er eine Krebsdiagnose mit Aussicht auf baldigen Tod. Walter ist ein Mann und „tut, was ein Mann tun muss“: Der Familie wenigstens ein Vermögen hinterlassen. So beginnt er, Methamphetamin – Crystal Meth – zu kochen, was ihm aufgrund hervorragender Chemiekenntnisse außerordentlich gut gelingt. Ein ehemaliger Schüler, Jesse Pinkman, verkauft das Zeug und schnurstracks haben die beiden ein kleines Imperium aufgebaut.

Serien wie Weeds und Breaking Bad lösen soziale Dilemmata wie schlechtes Einkommen, Benachteiligung, Krankheit oder Tod ohne Rücksicht auf geltendes Gesetz: Sie nehmen das klassische Bild von moralischem Handeln auseinander und ersetzen es durch ein neues. Eines, das nur die Rettung des Individuums beinhaltet, nicht den Zwang des gegebenen Handlungsrahmens. Einstige Tabuthemen werden zum zentralen Element des Trivialfernsehens. Moment – so trivial ist das gar nicht mehr. Wenn selbst Steven Spielberg als Produzent den Trend der Tragikomödie mitmacht und eine Mutter mit multiplen Persönlichkeiten in den Mittelpunkt rückt (United States of Tara), dann scheint der ganzen Sache doch eine gewisse Relevanz zugesprochen zu werden.

Mit all den Serien wird nicht nur „über die Stränge geschlagen“; so oberflächlich sind all die kleinen, scheinbar harmlosen Geschichten aus den USA dann doch nicht. Zum einen zeichnen sie sich durch besonders ausgefeilte und originelle Dialoge aus – wenn Jesse Pinkman in Breaking Bad über den Namen „Opossum“ philosophiert, hört sich das etwa so an:

„Since when have they changed it to ‚opossum‘? What’s up with that? When I was coming up it was just ‚possum‘. […] ‚Opossum‘ – it just sounds like it’s irish or something, you know! Why they gotta go changing everything?“ (Breaking Bad, S04/E10)

Hier wird der einfache Humor deutlich, der doch so ausdrucksstark wirkt. Zum andern wird nicht mehr, wie etwa bei den Simpsons, auf „das Verdummungspotential der Medien“, sondern auf echte soziale Probleme angespielt – es wird implizite Kritik an aktuellen Themen geübt. Wenn sich in Weeds der Schwager aus der kleinen Patchworkfamilie – allein diese ist schon äußerst ungewöhnlich für „Familienserien“ – alle möglichen Ausreden überlegt, um nicht in den Irak zu müssen, dann aber doch eingezogen wird; wenn sich der Protagonist aus Hung notgedrungen prostituiert und das damit begründet, dass „extreme Situationen … extreme Maßnahmen“ erfordern – dann hat sich wohl ein merkbarer Wandel im alltäglichen Fernsehen vollzogen. Man hat scheinbar eine neue Form der unterhaltsamen Aufklärung entdeckt, die sich ganz langsam den Weg zum Mainstream bahnt.

Was aber beabsichtigt diese Aufklärung, was will sie vermitteln? Wir können sie als Kapitalismuskritik verstehen, als Kritik an den bestehenden Verhältnissen. Es ist die Frage nach dem Warum, die wir damit in den Mittelpunkt rücken – warum werden Menschen verrückt? Warum nehmen sie Drogen? Warum laufen sie Amok? Die Antwort lautet, ganz allgemein ausgedrückt, immer: Weil ihre Situation sie dazu gewissermaßen auffordert. Die Situation jedes Menschen hängt von seinem Umfeld ab, das von einem bestimmten System gestaltet und gesteuert wird. Dieses System hat eine leistungsorientierte, antisoziale Gesellschaft zur Folge, genau die, in der wir leben. Für uns geht Gewinn vor Menschenleben. Für uns hat ein Geschlecht und eine Gruppe mehr Rechte als der Rest. Und wenn der Topf überzukochen droht, verstärken sich die besonders menschenverachtenden Tendenzen und erhalten mehr Zustimmung denn je.

Was passiert, wenn aber wir überkochen, und nicht „der Topf“, das ist Inhalt der genannten TV-Serien. Es geht darum, dass sich nicht systemkonforme Individuen nicht an den vorgegebenen Rahmen halten können, ja es geht um die Frage: Wie gestalten wir ein widerspenstiges, antisystemisches Leben? Auf den Punkt gebracht hat das Andy Botwin in Weeds (S04/E08): „Let’s move over there, where the scenery is a little less rapy.“


Breaking Bad läuft ab dem 9. Oktober immer samstags um 22 Uhr mit je zwei Folgen auf Arte.

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3 Kommentare

  1. September 28

    Mhm, Interessant, auch wenn ich nicht ganz mit deinem Schluss mitgehe, dass die Serien Kapitalismuskritik sind, so fand ich deinen Artikel echt interessant. Sehr zu empfehlen ist in diesem Zusammenhang übrigens Slavoj Zizek, der auch versucht, bestimmte Filme und Serien psychoanalytisch mit einem marxistischen Hintergrund zu deuten. Guck mal, vielleicht interessiert dich das ja auch.

  2. September 28

    Danke für den Hinweis.

  3. Disi
    Oktober 4

    Ich hab’s gelesen :D

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