Von wegen Norwegen

Norwegen 2011
Trauer aus Liebe, Liebe gegen Hass. Foto: Rødt nytt / Flickr.

Breivik hat gar keinen Bart! Und extremistisch sieht er auch nicht aus! Der Stern zeigt sich empört darüber, dass der Täter so „erschreckend normal“ aussehe, tut dies denn auch gleich als „gezielt inszeniert“ ab. Blond, blauäugig – es hätte jeder andere gewesen sein können. Kommt Anders Behring Breivik etwa aus der Mitte und war am Ende doch nicht, wie sein Anwalt urteilte, „geisteskrank“, sondern ganz normal?

In den ersten panischen Stunden nach den tragischen Vorkommnissen bewiesen diverse Terror-Experten im TV aufs neue ihre Unbrauchbarkeit und schlossen: Hinter diesem Attentat können nur Islamisten stecken. Wie groß muss wohl die Enttäuschung gewesen sein, als plötzlich die Lebensgeschichte eines christlich-fundamentalistischen Rechtspopulisten aufgeblättert wurde? Einer, der nie negativ aufgefallen war, nicht einmal den Nachbarn – ein Muttersöhnchen, meistens freundlich, von keiner Menschenseele als das wahrgenommen, was er hiesigen Medien zufolge doch sei: „Nicht rechts, nicht links, nur böse“ (FAZ online).

Einem 1500-seitigen Manifest zufolge, welches Breivik im Internet publiziert hatte, sah sich der Attentäter als Krieger im „Kampf gegen den Islam und den Marxismus“ – nicht rechts? Die Bombenexplosion in Oslo wie die anschließende exzessive Exekution von 69 jugendlichen Teilnehmern eines norwegischen Jungsozialisten-Ferienlagers auf der Insel Utøya – erscheinen sie nicht als Perversion einer konsequenten Weiterführung desjenigen Gedankenguts, das auch hierzulande breite Zustimmung erhält?

Neue Qualität rechter Ideen

Hektisch wird der Durchschnittsdeutsche nun seine Sarrazinlektüre entsorgen und die Website „Politically Incorrect“ aus seiner Favoritenliste löschen. Der Gedanke aber bleibt – während noch das Projekt „europäische Integration“ hochgehalten wird, hat sich längst eine neue Qualität rechter Ideen etabliert. Wir befinden uns in einer Zeit, in der Menschen wie Wilders, Le Pen, Orbán oder eben Sarrazin etwas zu sagen haben – das sollte zumindest nachdenklich stimmen.

Fatal wäre jedoch, daraus zu schließen, was deutschen Politikern zur Zeit wieder sehr locker über die Lippen geht: Man brauche „mehr Wachsamkeit im Netz“ (FAZ online) – diverse Maßnahmen gegen das Wahnsinns-WWW sind in der Debatte. So schlägt die Gewerkschaft der Polizei eine schwarze Liste vor, der Bund Deutscher Kriminalbeamter fordert einen „Alarmknopf“, die CSU holt noch einmal die Vorratsdatenspeicherung aus der Reserve (Spiegel online). Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel hätte es gern, dass man der Polizei „mehr Geld“ zur Verfügung stelle, sodass diese das Internet schärfer kontrollieren könnten (Reuters). Dass man das Internet im Prinzip ganz und gar abschalten müsste, wenn man den dortigen, häufig vorherrschenden Rechtspopulismus effektiv bekämpfen wollte, leuchtet den eifrigen Strategen der höheren Politik nicht ein.

Norwegen 2011
Fassungslose Blicke und Blumen. Foto: Simen Løvgren / Flickr.

Extremismus gegen Extremismus?

Die westliche Wertegemeinschaft hat noch mehr zu bieten. Man schaue sich nur einmal an, wie bei Facebook auf die Tragödie reagiert wird: Spontan werden Gruppen für die „Todesstrafe für Anders Behring Breivik“ gegründet – dort heißt es unter anderem, „dieser Mensch“ habe „kein Recht auf Leben“. Es werde „Zeit das [sic!] die Todesstrafe für Kindermörder/-schänder […] wieder eingeführt wird“, die deutsche Jurisdiktion sei noch „viel zu human!“ – andere wiederum stellen detailliertere Überlegungen zum Umgang mit Breivik an: „Killing him would be too easy. He must be taken to a point where he begs people to kill him, maybe blind, with no hands and feet, and rusty iron pieces in all his rotten body.“ Auch werden ökonomische Aspekte berücksichtigt, so wird die Frage aufgeworfen: „Why we should pay in taxes to keep such a monster alive?“ Es ist inzwischen bereits der elektrische Stuhl im Gespräch.

Insgesamt wird hier mit Rechtspopulismus auf Rechtspopulismus reagiert, der Antiextremist ist am Ende selbst der Extremist. So ist es wohl auch am bequemsten. Schnell kristallisiert sich allerdings der Schwachsinn der Extremismustheorie überhaupt heraus, denn faktisch liegen die Probleme des Absoluten, Totalitären nicht am Rande unserer Gesellschaft. Sie blühen und gedeihen zwischen uns, wir alle sind für derlei ideologische Auswüchse mitverantwortlich. Wir formen den Diskurs.

Einen Schuldigen ausfindig machen zu wollen ist also ein hoffnungsloses Gerenne gegen die Wand. Wir müssen stattdessen aktiv einen Gegendiskurs bilden, der imstande ist, die Definitionen „unserer“ Werte auf ein menschliches Minimum zurückzuführen und aus historischen Entwicklungen Schlüsse zu ziehen, statt sie wie trocken Brot zu zerkauen. Wir müssen faschistoiden Tendenzen dezidiert entgegentreten, statt uns nur immer wieder von ihnen auszuschließen und am Ende selbst davon behaftet zu sein.

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